Dienstag, 6. August 2013

Wer oder was nimmt wie wahr? Kleine phänomenologische Studie zur Wahrnehmung

Wer oder was nimmt wie wahr?
Kleine phänomenologische Studie zur Wahrnehmung

Erst einmal wahrnehmen:
Ohne Wahrnehmung kein Leben. Die Lebendigkeit des Mensch-seins zeichnet sich durch die Qualität der mannigfaltigen Wahrnehmungen und deren rationale und ästhetische Verarbeitung und Bewältigung aus. Denn du bist, was du denkst, und Wahrnehmung ist die Nahrung des Denkens!
Deshalb: Wer oder was nimmt was wie wahr?

Und da kommt die These:
Der Mensch ist ein wahrnehmendes Wesen. Wahrnehmung bezieht sich auf Gegenstände und Phänomene, alles, was sich der Sinnlichkeit öffnet.

Und hier die Entfaltung:
Ohne Wahrnehmung keine Erkenntnis, ohne Erkenntnis kein Wissen. Wahrnehmung konstituiert das Mensch-Sein als phänomenales Subjekt. Ohne Wahrnehmung also kein Subjekt, und ohne Objekte keine Wahrnehmung.

Einen Schritt weiter:
Doch wie funktioniert dann Wahrnehmung?
Wahrnehmung ist vom Subjekt her gesprochen der konstruktivistische Zugang zur Welt "draußen". Das Subjekt ist das Gegenüber zur Welt. Es nimmt die Welt wahr, wobei unschwer ein Dualismus, eine Opposition von Mensch und Welt vorausgesetzt wird. Doch wird dabei nicht übergangen, dass der Mensch selbst der Welt zugehörig, ja angehörig ist? Die Opposition von Welt und Mensch verläuft in eine kaum lösbare Aporie, einer Unmöglichkeit, die Frage nach dem Wer, Wie und Was der Wahrnehmung zu lösen, da Widersprüche in der zur Lösung notwendigen Begrifflichkeit auftreten.

Umkehren und neu ansetzen:
Es gilt die Bedingungen der Möglichkeit von phänomenaler Erkundung und Gegenstandserfahrung zu pointieren und offen zu legen.
Ist das Ich der Wahrnehmung, das Subjekt, das in den Mittelpunkt zu rücken ist, der Ausgangspunkt, somit also Wahrnehmung als subjektiven Akt zu sehen und ist das Objekt der Wahrnehmung als Produkt des Subjekts dann zu denken?
Oder ist es der Akt und das Objekt der Wahrnehmung, die das Subjekt hervorbringen und qualifizieren?

Ein neuer thetischer Anschluss
Die Wahrnehmung ist es, die den Wahrnehmenden hervorbringt, weil sie es ist, die ihn zu demjenigen macht, der er ist, ein wahrnehmendes Subjekt.
Was damit nicht erklärt wird, ist die Existenz von Wahrnehmungen. Das Phänomen, dass der Mensch wahrnimmt und nicht vielmehr nicht, bleibt ein Rätsel, aber ein Rätsel, mit dem man leben kann. In Zuspitzung kann nur gesagt werden, weil es meine Wahrnehmung gibt, gibt es mich in der Welt.

Auf neuem Weg
Der neue denkerische Aufbruch, der die Bedingungen zur Möglichkeit von wahrnehmender Aktion aufnimmt, zeichnet sich dadurch aus, dass der traditionelle Primat des Wahrnehmende durch den Primat der Wahrnehmung ersetzt wird. Der Primat des Wahrnehmende drückt aus, dass es subjektive Absicht ist, einen Gegenstand oder ein Phänomen wahrzunehmen.
Denkbar und logisch nachvollziehbar in einer klaren Unterstreichung ist der andere Weg, dass Gegenstand oder Phänomen, das als Subjekt Gedachte zur Wahrnehmung nötigen.
Aus einem etwas verkürzenden Blickwinkel gesprochen ergibt es sich, dass die Wahrnehmung den Wahrnehmenden zwingt und ihn als Wahrnehmenden konstituiert, insofern das Objekt oder das Phänomen als wahr und wirklich zu nehmen. Ontologisch, vom Sein des Seienden aus betrachtet, ist festzuhalten, dass die Welt sich aufdrängt, indem sie den Menschen in die Wahrnehmung zwingt. Das wahrnehmende Subjekt kann gar nicht anders als wahrnehmen, da ontologisch ein Zwang durch die Existenz der Wahrnehmung vorgegeben ist.

Neue Folgerungen
Wird die Wahrnehmung in ihrem Primat als wirklich erfasst, erscheint der Wahrnehmende zum Dasein in einer anwesenden und gegenwärtigen Welt verurteilt. Weil ich wahrnehme, wird mir zumute, in einer Welt zu sein, die existent, präsent, anwesend und wirklich ist. Das Wahrzunehmende zwingt den Wahrnehmenden unausweichlich an seiner Welt teilzunehmen. Deshalb gilt es, davon auszugehen, dass nicht ich in meiner Wahrnehmung die Welt konstruktiv hervorbringe, sondern meine Wahrnehmung der Welt mit der Folge verbunden ist, dass ich in der Welt vorkomme. Wahrnehmung heißt folglich: Ich bin ein Teil davon. Die Wahrnehmung zwingt mich zur Anteilnahme. Ich befinde mich durch die Wahrnehmung in einer Partizipationspflicht zur Welt. Dadurch ist die Opposition Welt und Subjekt endgültig aufgehoben. Ich muss in der Welt sein als Form des anteilnehmenden Dabei-sein, weil die Wahrnehmung mich hervorbringt. Dieses Mich ist von daher gezwungen, Subjekt seiner Wahrnehmungszustände zu sein. In der Wahrnehmung etwa subjektiv abzuschalten ist unmöglich, denn das würde bedeuten, die ureigenste Qualität des Mensch-seins zu dispensieren, die eben das Wahrnehmen ist.

Schlussthese
Durch die Wahrnehmung sind wir in der Welt, und die Wahrnehmung verbindet uns mit einer nicht aufhebbaren Präsenz- und Partizipationspflicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen