Dienstag, 6. Mai 2014

Philosophische Grundlegung in interkultureller Sicht - eine Miniatur

Philosophische Grundlegung in interkultureller Sicht

Heinz Hübner, Mai 2014
aus der Reihe "Philosophische Miniaturen"

Als Menschen leben wir in kultürlicher, nicht einfach auf natürliche Weise. Das betrifft alle Bereiche, etwa die Art, wie wir denken, was uns fremdartig oder selbstverständlich erscheint oder was wir glauben oder nicht glauben. Es betrifft die Ausbildung allgemeiner Begriffe, um Fragen zu beantworten, wie:
Was ist wirklich?
Was können wir wissen?
Was sollen wir tun?
Diese Fragen lassen sich in schriftlichen und mündlichen Zeugnissen vieler Kulturen belegen. Wenn diese Fragen begrifflich entwickelt werden, kann man von Philosophie sprechen. Es geht dabei also nicht nur um einfaches Nachsinnen, sondern um philosophisches Denken.

1. Philosophie ist wie etwa Wissenschaft, Kunst oder Religion ein kulturelles Erzeugnis des Menschen. Bleiben solche Ideen und Gedanken längerfristig im kulturellen Gedächtnis, bildet sich eine Tradition des Denkens aus.

2. Menschen leben und schaffen in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Der Einzelne ist nicht losgelöst aus Raum und Zeit, Geschichte und gesellschaftlichen Kontext.

3. Philosophie als Ausbildung und Antwort auf Fragen nach der ontologischen Grundlegung, der epistemischen Bedingung und der normentheoretischen Setzung ist ein Vorschlag, in einer bestimmten Weise über Vorstellungen und Ideen zu sprechen. Eine philosophische Definition ist dabei nie letztgültig, sondern basiert auf einem denkerischen Konsenz.

4. Philosophie will in diesen grundlegenden Fragen zu Einsichten gelangen, diese begrifflich angemessen ausdrücken und sie somit einer intersubjektiven Prüfung zugänglich machen.

5. Werden Antworten auf ontologische, erkenntnistheoretische oder normentheoretische Fragen mit Mitteln des Denkens gesucht, kann von einer Philosophie gesprochen werden.

6. Philosophie sucht Antworten auf diese Grundfragen, indem sie 
a) Begriffe definiert
b) Argumente entwickelt
c) Methoden des Erkenntnisgewinns herstellt
d) Irrtumsvermeidung reflektiert. 
Dabei müssen identifizierbare Inhalte und eine Form der Reflexion gegeben sein, damit von einem philosophischen Denken gesprochen werden kann.

7. Das Vorgehen des philosophischen Denkens kann über verschiedene Ansätze erfolgen, die nie absolut, sondern immer hinterfragbar bleiben.
a) Vorliegende philosophische Texte werden analysierend bearbeitet, doch die Auswahl dieser Texte aus dem Fundus der Geistesgeschichte macht die Gefahr einer Verengung obsolet.
b) Die Analyse von Theorien, Methoden und Aussagen verschiedener Wissenschaften, um allgemeine Prinzipien zu gewinnen, die zur Beurteilung von Theorien und Normsystemen brauchbar sind.
c) Erforschung der Philosophiegeschichte mit der Absicht, Widersprüchliches in verschiedenen Schulsystemen herauszustellen und auf Bezüge untereinander zu verweisen.
d) Durch philosophische Spekulation unverrückbare Wahrheiten und unaufgebbare Werte auffinden.
e) Erarbeitung eines allgemeinen Kanons durch Rekonstruktion der Geistesgeschichte.

8. Die philosophische Tätigkeit besteht somit in gegenseitiger Kritik in Anregung und Auseinandersetzung. Eine solche Forschung ist dialogisch interkulturell anzulegen. Denn:

9. Es gibt nicht die eine, vollständige und unüberholbare Antwort auf die philosophischen Grundfragen. Deshalb glaube nicht, dass alles von Bedeutung ist, was von sich Rede macht, und dass dasjenige nicht von Bedeutung ist, worüber wenig geredet wird. Philosophisches Denken glaubt sich selbst und ist dabei in dieser Weise kritisch.
Denn Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Haltung. 
Philosophie ist nicht die Weisheit, sondern die Liebe zur Weisheit.
Da jedes Denken im philosophischen Sinne kulturell bedingt ist, gilt es, die Kernbereiche der Philosophie, so wie sie sich in der okzidentalen Tradition darstellen, als Frage nach der Grundstruktur der Wirklichkeit, als Frage nach der Erkennbarkeit der Wirklichkeit und als Frage nach der Begründbarkeit normativer Sätze nicht als unumstössliche Rahmenbedingungen des Denkens zu erfassen. Denn in jeder Kultur gibt es denkerische Projekte, die versuchen, die drei okzidentalen Problembereiche zu klären, jedoch mit unterschiedlichen Weltbildern, Wertordnungen, logischen Denkformen, in fremden Mythen, Religionen, Bräuchen und Institutionen eingebettet.

10. Philosophien sind solche denkerischen Projekte, die ohne Berufung auf bloße Tradition, auf religiösen Glauben oder auf eine andere über der menschlichen Vernunft angesetzte Autorität ihre Fragen zu klären versuchen.

11. Philosophie zielt dabei auf methodische, intersubjektiv nachvollziehbare Argumentation ab. In der Orientierung des Denkens nach Regeln, die zwar nicht unabhängig von Prägungen innerhalb der jeweiligen Sprache und Kultur sind, wobei auch religiös vermittelte Denkweisen anzutreffen sind, hat sie sich dem Anspruch zu stellen, über kulturelle Grenzen hinweg intelligibel zu sein.

12. Zum Erweis der Intelligibilität ist ein Vorbegriff von Philosophie inhaltlich und methodisch notwendig, um Abgrenzungen des Denkens vorzunehmen und sich der Frage, worum es geht, zu nähern. Dass der Vorbegriff, das philosophische Eröffnungsfeld, okzidental gefasst ist, beruht auf der kulturellen Herkunft des "eigenen" Denkens. Das "fremde" Denken verstehen, sich ihm annähern, geschieht auf der Basis der Selbstvergewisserung des "Eigenen". Ziel ist es, allgemein intelligible Thesen zu begründen. Worauf es ankommt, ist nicht die Allseitigkeit sondern die jeweils sachlich begründete Entscheidung zwischen Einseitigkeit und Vielfältigkeit.

13. Philosophie, die in dieser Weise zu Werke geht, ist eine Disziplin, die sich mit den dargestellten grundsätzlichen Fragen beschäftigt, die nicht allein durch Methoden der Einzelwissenschaften beantwortet werden. Philosophie entwickelt etwa durch logische Verknüpfungen Regeln des wissenschaftlichen Einzelspiels. In diesem Format ist Philosophie weder als Weltanschauung oder Ideologie, noch als Religion aufzufassen.

14. Philosophie als bestimmte denkerische Haltung und zwar kulturübergreifend beginnt oftmals mit dem "Staunen" in der Selbsteinschätzung des Menschen, dass es überhaupt "etwas gibt" und nicht vielmehr nichts. In der weiteren Suche nach Wahrheit gleicht der dann Philosophierende einem Menschen, der sich in der Bewegung des "Stolperns" und wiederum "Staunens" befindet, um die Wahrhaftigkeit der Weisheit zu ent-decken.

15. Philosophie als Liebe zur Weisheit ist interkulturell ein nie endender Prozess. 

Heinz Hübner, Mai 2014
aus der Reihe "Philosophische Miniaturen"

Freitag, 2. Mai 2014

Glauben evangelisch

Was ist evangelischer Glaube?



Es gibt viele christliche Kirchen. Der Glaube an den dreieinigen Gott verbindet alle Christen. Was ist nun das Besondere am evangelischen Glauben?


 Christen bekennen, dass sich Gott uns Menschen zu erkennen gibt als Vater und als Schöpfer und Erhalter seiner Schöpfung, als Sohn und Erlöser in Jesus Christus und als Heiliger Geist, in dem Gott bei uns gegenwärtig ist. Evangelischer Glaube  ist gekennzeichnet durch vier unverzichtbare Glaubensgrundsätze: Allein aus Glauben, allein aus Gnade, allein Christus, allein die Heilige Schrift.


Allein aus Glauben

Glaube hat weniger mit vermuten, meinen oder fürwahrhalten zu tun als mit Vertrauen. Glauben heißt, im Leben und im Sterben seine Hoffnung und sein Vertrauen auf Gott, den Jesus Vater genannt hat, zu setzen. Glaube ist Ausdruck einer Beziehung.


Christen vertrauen darauf, dass Gott hält, was er versprochen hat, dass seine Herrschaft in Liebe und Gerechtigkeit in dieser Welt anbricht, dass er Menschen nicht allein lässt, wenn sie leiden. Christen vertrauen darauf, dass Gott sie mit ihren Lasten trägt und sie im Einsatz für andere stärkt. Christen vertrauen darauf, dass Leiden, Schuld, Versagen, das Böse und der Tod nicht das letzte Wort haben. Sie setzten ihre Hoffnung darauf, dass Gott sie auch jenseits der Todesgrenze bei ihrem Namen ruft. Gott sieht seine Menschen mit Augen der Liebe an – egal, was sie von ihm trennt. Dieses Vertrauen gründet in der Geschichte und in den Worten Jesu. Dieser Glaube ist ein Geschenk Gottes, das er durch seinen guten Geist, den Heiligen Geist, bewirkt.


Glaube berührt und gestaltet als Zuspruch und als Anspruch das ganze Leben. Kein Bereich ist ausgenommen. Worte wie Vertrauen, Zuversicht, Treue werden dem, was mit dem Wort „Glauben“ beschrieben ist, am ehesten gerecht.


Allein aus Gnade

Gnade ist womöglich der wichtigste Begriff evangelischen Glaubens. Menschen, die meinen, aus eigener Kraft leben zu können, trennen sich so von Gott. Das nennt die Bibel Sünde. Doch Gottes vergebende Liebe hebt diese Trennung durch Jesus Christus auf. Er versöhnt uns mit Gott und lädt uns ein, im Vertrauen auf seine Güte zu leben. Gott hebt die Entfremdung zwischen sich und dem Menschen auf, ohne dass der Mensch dazu etwas beitragen könnte. Gott macht seine Liebe nicht von vorbildlichem Leben, korrektem Verhalten, frommen Übungen oder hervorragendem Einsatz für andere abhängig. Das war Luthers „reformatorische Entdeckung“ und ist die Geburtsstunde evangelischen Glaubens: Wir sind Gott recht, ohne dass wir etwas dazu beitragen könnten. Im stellvertretenden Leiden und Sterben seines Sohnes und in der Teilhabe an seiner Auferstehung ist für uns alles getan.


Allein Christus

Jesus Christus ist die Mitte unseres Glaubens. Von ihm erzählt die Bibel, vor allem das Neue Testament. Er lebte etwa in den Jahren 0 bis 30 nach Christus. Im Auftrag Gottes predigte er, dass Gott diese Welt liebt und sie zum guten Ziel bringen wird. Zum Zeichen dafür heilte er Kranke, vergab Sünde (Schuld) und wandte sich den Armen und Ausgestoßenen zu. Seine Botschaft, dass er der von Gott gesandte Retter, der Sohn Gottes, ist, wurde abgelehnt und als Gotteslästerung empfunden. Er wurde gefangen genommen und am Kreuz hingerichtet. Nach drei Tagen erweckte Gott ihn von den Toten und gab ihm Anteil an seiner Macht. Er wird wiederkommen, um Gottes Heil endgültig durchzusetzen. 


Jesus Christus ist der einzige Retter und Herr, an den wir glauben und den wir anbeten. „In keinem anderen ist das Heil, auch ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden.“ (Apostelgeschichte 4, 12)


Allein die Bibel

Der Maßstab für unseren Glauben und für unser Leben ist die Bibel. An ihr prüfen wir alle Erfahrungen und Äußerungen des Glaubens. Die Bibel ist eine Sammlung von 66 Büchern. Sie besteht aus dem Alten und Neuen Testament und erzählt, welche Erfahrungen Menschen mit Gott gemacht haben, wie Gott handelt, was Er schenkt und was Er erwartet. So spricht Gott uns durch die Bibel an, um unseren Glauben zu wecken und uns in seine Gemeinde zu rufen.


Die Gemeinde

Die Bibel bezeichnet die Gemeinde als das Volk Gottes, den Leib Christi und die Familie Gottes. In ihr dient jeder mit der Gabe, die er empfangen hat. Die evangelischen Christen eines Ortes gehören in der evangelischen Landeskirche zu einer Kirchengemeinde, die „Evangelisch-Lutherisch“, „Evangelisch-Reformiert“, „Uniert“ oder einfach „Evangelisch“ heißen kann.

Religionswissenschaft als kulturwissenschaftliche Disziplin

Vergleichende Religionswissenschaft - Warum und Wozu?

"Wer nur eine Religion kennt, kennt keine; wer nicht geduldig und aufrichtig die anderen Religionen geprüft hat, kann nicht wissen, was das Christentum wirklich ist."
(Max Müller, 1876)

Mit diesem Zitat begründe ich die Notwendigkeit einer von der christlichen Theologie unabhängige Religionswissenschaft. 
Sie ist als Geisteswissenschaft eine humanwissenschaftliche und empirisch arbeitende Disziplin, die Religion empirisch, historisch und systematisch erforscht.
Hierbei ist Religion als eine spirituelle Grundkomponente des Menschen aufzufassen. Wenn unter Kultur die Summe der Effekte von innovativen Handlungen des Menschen im Rahmen seiner Anpassung an die Umwelt in der Daseinsgestaltung in sozialen Gemeinschaften zu verstehen ist, kann die Religionswissenschaft als eine Disziplin der Kulturwissenschaften bezeichnet werden.
Sie berücksichtigt in ihrer Forschung jene Kulturgüter, die aus religiöser Überzeugung einzelner Menschen oder Gemeinschaften geschaffen wurden. Darunter fallen schriftlich fixierte religiöse Traditionen, religiös motiviertes Literaturschaffen sowie materielle und geistige Weltgestaltung, die sich etwa in der Errichtung von Kultbauten o.ä. zeigt. Daneben untersucht die Religionswissenschaft auch Gesellschaftsformen, die von religiösen Überzeugungen geprägt sind. 
Religionswissenschaft analysiert Religion somit als Teil des Beziehungsgeflechts von Mensch, Gesellschaft und Kultur, wobei Religion in empirisch fassbarer und erforschbarer Form von Menschen für Menschen initiiert wird. 
Eine Untersuchung von Glaubensinhalten auf der Sachebene, etwa in Form einer Suche nach transzendenter Wahrheit, nimmt die Religionswissenschaft nicht vor, hingegen ordnet, klassifiziert, vergleicht und analysiert sie die Erscheinungsformen und Elemente verschiedener Religionen. 
Religion so verstanden ist ein gleichberechtigtes gesellschaftliches Subsystem neben z.B. der Wirtschaft, dem Recht, der Politik und der sozialen Sphäre, eben ein kulturelles Segment. Da es zwischen den einzelnen Segmenten  einer Gesellschaft zahlreiche Verflechtungen und Querverbindungen existieren, ist die Religionswissenschaft als vergleichende Disziplin grundsätzlich interdisziplinär anzugehen.
Ihre methodische Aufgabe als vergleichende Religionswissenschaft ist es, die sichtbaren Äußerungen, die aus der religiösen Komponente des Menschen entstehen, zu erfassen und im Kontext der jeweiligen Kultur zu interpretieren. Dabei handelt es sich um eine kulturwissenschaftliche Deutung, nicht um eine theologische Vergewisserung. Theologien können grundsätzlich Gegenstand der Religionswissenschaft sein, die theologische Methodik ist allerdings für die vergleichende Religionswissenschaft keine maßgebende Größe.
Die vergleichende Religionswissenschaft arbeitet eher als Gegenstück zu einer theologisch bzw. religionsphilosophisch geprägten phänomenologischen Sichtweise der Religion. Ebenso lehnt sie die einseitige historische Perspektive, die nur an heiligen Texten und Entstehungsprozessen interessiert ist, ab. 
Als kulturwissenschaftlich ausgerichtete Religionswissenschaft hat sie die Aufgabe, die in der Öffentlichkeit durchgeführten Aushandlungen über Weltdeutungen darzustellen, systematisch-analytische Untersuchungen zu zentralen religiösen Konzepten vorzunehmen und Entwicklungen der Religionsgeschichte im Kontext allgemeiner historischer und gesellschaftlicher Entwicklung zu erforschen. Zur Vermeidung eurozentrischer Einseitigkeiten ist dabei vermehrt auf die außereuropäische Empirie von Daten für die Theoriebildung in der Religionswissenschaft zurückzugreifen und diese Daten nicht vornehmlich dem modernen europäischen Kontext zu entnehmen.
Religion als Aufgabe der Religionswissenschaft konstituiert sich als ein kulturelles System, das ausgehend von einer identitätsbegründenden Komponente - Stifter, Urahne oder Urschrift - durch gemeinsame Anschauungen und Weltdeutungen - Lehre und Praxis - eine Gemeinschaft in durchaus unterschiedlich dichter Organisationsstruktur hervorbringt. Wie solche Prozesse der Identitätsbegründung, der Aushandlungen von Weltdeutungen und der Entwicklung und Veränderung der religiösen Gemeinschaft in Geschichte und Gegenwart ablaufen und wie diese Abläufe auch außerhalb der jeweiligen Religionsgemeinde wahrgenommen werden, ist dabei der Gegenstand, den die Vergleichende Religionswissenschaft zu analysieren, beschreiben und interpretieren hat.
Die Vergleichende Religionswissenschaft ist so zu einer von den Theologien unabhängige Wissenschaft zu entwickeln, was vor allen Dingen die Diskussion der Methodik des Faches zu einer eigenständigen Disziplin betrifft, wodurch ihr ein eigenständiges Profil innerhalb der Kulturwissenschaften zukommt.