Da der christliche Glaube zur Legitimation des
Feudalismus im Deutschland der 1830er und 1840er Jahre diente - der
Untertanengeist entspricht der religiösen Demut und Passivität -, ist Feuerbachs
Religionskritik als mittelbare Kritik an den politischen Verhältnissen zu
verstehen. Indem er sich bemüht, den Menschen aus seiner Jenseitsbezogenheit
zu lösen und zu einem aktiven Handeln ins Diesseits zurückzuführen - seine
„philosophische Revolution“ soll zur Vorbereitung der politischen dienen -,
geht sein anthropologischer Materialismus nicht nur über die These vom
Priesterbetrug (französischer Materialismus des 18. Jh.s) oder kritische Bibelexegese
(D. F. Strauß, Bruno Bauer) hinaus, sondern auch über die idealistische Kritik
der Junghegelianer an Hegel; Feuerbach ist sozusagen „Mittelglied zwischen der
Hegelschen Philosophie und unserer Auffassung“ (Engels).
Ansetzend bei der erkenntnistheoretischen Trennung
von sinnlichen Gegenständen, d. h. materieller Wirklichkeit, und dem
menschlichen Bewußtsein, analysiert Feuerbach die Besonderheit des „religiösen
Gegenstandes“, die darin besteht, daß er keinen spezifischen Inhalt besitzt,
sondern lediglich die „Rückspiegelung unseres eigenen Wesens“ mit Hilfe der
religiösen Phantasie darstellt. Das menschliche Wesen tritt folglich in der
Form des göttlichen Wesens dem Individuum als ein ihm äußerliches, fremdes
entgegen. Diese Vergegenständlichung des menschlichen Wesens wird vom Menschen
jedoch nicht erkannt, d. h., er tritt - ohne es zu bemerken - seinem eigenen
ihm entfremdeten Bewußtsein gegenüber. Indem Feuerbach die Frage nach dem
Verhältnis von Gott und Welt, Denken und Sein, Geist und Natur stellt und
materialistisch beantwortet, wendet er sich gegen den idealistischen Ansatz,
wie er im christlichen Gott, aber auch in Hegels Weltgeist (Verselbständigung
der geistigen menschlichen Tätigkeit) zu finden ist. In Weiterentwicklung
Hegelscher Begrifflichkeit überwindet Feuerbach sowohl die Theorie von der
Identität wie die von der Dualität von Subjekt und Objekt.
Letztlich bleibt sein Materialismus jedoch
kontemplativ (sichtbar auch an seinem distanzierten Verhalten während der
1848er Revolution), da er „Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts oder der
Anschauung“ faßt; „nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis, nicht
subjektiv“. Feuerbach geht in seinem radikalen Humanismus von einem abstrakt
verstandenen Menschen aus, er sieht nur die natürlichen Beziehungen des
Menschen, nicht aber dessen Gesellschaftlichkeit und Geschichte, was einerTrennung
von Materialismus und Historizität entspricht. Seine Anthropologie
konfrontiert Individuum und menschliche Gattung, ohne die realen
gesellschaftlichen Kämpfe der Menschen innerhalb konkreter
Produktionsverhältnisse zu berücksichtigen. In aufklärerischer bürgerlicher
Tradition stehend strebt Feuerbach nach der Veränderung des Bewußtseins, nicht
jedoch nach der „Revolutionierung der Besitzverhältnisse“; die Aufhebung der
Selbstentfremdung des Menschen soll mit der Ablösung der Religion durch die
Philosophie erfolgen, nicht durch die Zerstörung der materiellen Entfremdung.
Wird Feuerbachs Philosophie unmittelbar umgesetzt,
so verkommt sie im allgemeinen zur praxisfernen, gefühlvollen Liebesreligion;
in ihrer Aufhebung im historischen Materialismus jedoch wird deutlich, daß
Feuerbach mit seiner Religionskritik die Marxsche Ideologiekritik vorbereitet
hat, d. h., daß seine Philosophie zu Recht als die „höchste begriffliche Form
der deutschen revolutionären Demokratie“ (Lukacs) bezeichnet wird.
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