Freitag, 9. November 2012

Zurück in die 70er Jahre




Flanieren durch das Bücherregal und finden:

Das Heft “Ästhetik und Kommunikation, März 1978″

Flanieren und Blättern und Finden, ein Gedicht,

dieses Gedicht, ein Anachronismus _ wiedergelesen 2012!

F.C. Delius
Einsamkeit eines alternden Stones-Fan

Er latscht in den Diskshop und gleich
auf die Platte los, die er will, die neuen Stones.
Um ihn rum, Kopfhörer um die Ohren,
die 10 oder 15 Jahre jüngeren Typen,
die längst was andres hören.

Die reglosen Gesichter
regen ihn auf,
diese Einsamkeit unter den Kopfhörern!
Er nimmt die Platte und
fühlt sich nicht sehr einsam.
Er weiß nur, er überschaut
den Plattenmarkt nicht mehr –
Diplom-Physiker, da hab ich andre Sorgen­-
und weiß nicht, was ihn noch verbindet
mit der, sagt er ironisch, nächsten Generation,
höchstens eine Demonstration, ein Joint,
etwas von dieser Mode.

Er sieht das Cover an:
gefällt mir eigentlich gar nicht, den Mick
solltest du wirklich langsam abschreiben,
aber sein Sound, den hat keiner mehr erreicht.
Und Mick sagts selber: Du wirst
irgendwann zu deiner eignen Parodie.
Dieser Satz geht ihm durch den Kopf
während der vier Schritte zur Kasse,
irgend­wann
wirst du zu deiner eignen Parodie.

Erinnerungen kommen hoch:
die Stones im Hyde-Park damals,
da war ich mittendrin,
da hat sich was bewegt mit uns.
Jetzt fühlt er sich beobachtet. Jetzt
fühlt er sich überlegen: die hängen hier rum,
bei dieser immer schlechteren Musik,
leiden vielleicht an ihren Trips oder
an Langeweile, aber ich,
und er zahlt, steckt den Bon ein,
was hab ich alles mitgemacht und weiß jetzt,
was zu tun ist, ich!
So ein Gedanke, er sieht sich noch mal um,
ist das nun die berühmte Erfahrung des
Alterns?

Und geht aus dem Laden
und geht zum Arzt, die Rückenschmerzen,
und abends die neue Platte mit
neuen Enttäuschungen, die
Vergangenheit ist Vergangenheit –
und nicht vorbei.
(aus: F.C Delius, Ein Bankier auf der Flucht.
 Gedichte und Reisebilder, 1977 Rotbuch Verlag)

Donnerstag, 1. November 2012

Bausteine zu einer Bildtheorie



Hier stehen Fragen der Ästhetik im Vordergrund, die versuchen, den Bildbegriff wissenschaftlich zu erfassen. Es geht mir um den Aufbau und die Beschreibung einer Bildwissenschaft bzw. Bildkritik, wobei unter Kritik die Fokussierung auf die Bedingtheiten von Erkenntnissen zu verstehen ist, nicht so sehr der Dissenz gegenüber allgemeinen Urteilen. Das Bild ist ein Instrument zur Erkenntnisgewinnung. Ich frage danach, wie Bilder Sinn erzeugen und gehe dabei von der Eigenmacht des Bildes aus, das etwas zeigt. Und zwar nicht allein eine ikonische Erläuterung  begrifflicher Erkenntnis. Die Frage: "wie Bilder Sinn erzeugen" erfordert ein neues Nachdenken über die Bedingungen, die Macht und die Bedeutung von Bildern.
Wenn es so also um die Frage nach Erkenntnisgewinn durch die Wahrnehmung eines Bildes geht, dann führt der Weg über das "ikonische Denken". Dabei ist festzuhalten, dass Bilder anders als Sprache ihren Sinn explizieren.
Deshalb ist zuerst auszugehen von einer genauen Bildanalyse in der Kunstbetrachtung aber auch in allen anderen ikonischen Bereichen, die beim Bild danach fragt:
1. Was ist dargestellt?
2. Wie ist es dargestellt?
3. Warum ist es so dargestellt?

Dabei wird die Hintergründigkeit des "Zeigens" angesprochen. Jenseits der Sprache gibt es so etwas wie Sinn, der durch das Bild sich zeigt und damit erkennbar wird. Dennoch kann sich eine solche Sinnerkenntnis nicht auf einer strikten Trennung von Sagen und Zeigen berufen. Eher geht es bei der Bildwahrnehmung um eine ernsthafte Abstandsmessung zwischen Sagen und Zeigen. Bildkritik hat das wissenschaftlich zu erfassen. Wenn die Überformung der Bilder durch sprachliche Muster, Ansprüche des Begriffs oder externer Texte zurückgenommen wird, lässt sich das deiktische Potenzial des Bildes freilegen. Das ist es, wenn von der Macht des Zeigens gesprochen wird. Das Zeigen lässt sich nicht auf ein Sagen reduzieren, und gerade deshalb lässt das Zeigen den eigentlichen sinnerzeugenden Überschuss in Bildern entstehen. Das Zeigen des sinnerzeugenden Überschusses eines Bildes macht aus dem materiellen Sachverhalt etwas Sinnhaftes, bringt den Dialog mit dem Auge, dem Organ der Wahrnehmung in Gang, in dem das Bild zu seinen Möglichkeiten kommt. Denn die "Helligkeit" der Vernunft reicht weiter als das Wort.
Hier folge ich den Ausführungen von G. Boehm in Wie Bilder Sinn erzeugen, S. 15ff.
Er spricht von dem Modell der ikonischen Differenz. Diese Unterscheidung dient dazu, die in Bildern wirksame Logik zu analysieren, ohne damit ein theoretisches System aufzubauen. Denn ein Bild ist immer singulär, sich in der Wahrnehmung auf diese Singularität einlassen und sie zugleich auf diese innere Struktur zu befragen. Das ist ikonisches Denken, ein Vorgehen, das ikonische Phänomene mit Argumenten versucht zu verknüpfen. Dabei erscheint der epistemologische Bereich der Philosophie als Sinnerkenntnisraum.
Der Mensch ist ein Wesen, das sich ein Bild zu machen vermag. Die Bildfähigkeit ist eine für den Menschen konstitutive Fähigkeit, in der sich die Vernunft des Menschen in spezifischer Weise zeigt oder sich ermöglicht.

Nicht Sätze, sondern Bilder, nicht Begriffe, sondern Metaphern dominieren den größten Teil der menschlichen Überzeugungen.
Denn die Welt wird nach ihren Ähnlichkeiten zu gespeicherten Bildern erkannt. Die Bilder werden nicht mehr in ihrer Ähnlichkeit zur Welt wahrgenommen. Die Welt als Ausgangspunkt der Erkenntnis geht verloren. Sprache allein hat ihre epistemologische Bedeutung verloren, oder ist dabei, sie zu verlieren, denn die sinnstiftende Realität ist das Bild in den schillernden Bedeutungsformen, die im Zeigen sich auftun. Die Kraft der Bilder, die Macht des Bildes, sie drückt sich schon in der Formulierung aus "Das Bild hat mich in Besitz genommen!" Es scheint so zu sein, dass der Bildakt dem Sprechakt voraufgeht. Das ist der tiefe Sinn, von einem iconic turn zu sprechen.

Vom linguistic turn zum iconic turn

Richard Rorty brachte die philosophischen Debatten in den 1960er auf einen prägnanten Begriff, der verschiedene Strömungen bündelte und zugleich eine programmatische theoretische Positionsbestimmung unternahm. Diese entwarf sich in Absetzung von einem die philosophische Tradition dominierendem Modell, das in der Erkenntnistheorie auf Visualität setzte und die philosophische Reflexion nicht nur bestimmte, sondern diese auch gefangenhielt. Die Konzentration auf die Sprache sollte die Philosophie aus der Gefangenschaft des Bildes und der Visualität befreien.
Nicht Aussagen, sondern Metaphern dominieren den größten Teil unserer philosophischen Überzeugungen.
Das Bild, das die traditionelle Philosophie gefangenhält, ist das Bild vom Bewußtsein als einem großen Spiegel.
Und genau dieses gilt es zu hinterfragen, zu kritisieren, zu dekonstruieren.Die Konzentration auf die Sprache sollte die Philosophie aus der Gefangenschaft des Bildes und der Visualität befreien. "Die Welt als Text" wurde zu einer neuen Metapher, die nicht weniger dominierend wurde wie die kritisierte Spiegelmetapher der philosophischen Tradition.
Regelrechte Sprachfixierung des Denkens, die für die Philosophie des 20. Jahrhunderts als charakteristisch zu bezeichnen ist und sich durch eine konsequente Ausblendung von Visualität und Bildlichkeit auszeichnet: Ikonoklasmus und Ikonophobie wurden zum philosophischen Programm und auch Derridas Kritik des Logozentrismus eröffnete keinen Ausweg aus dem geschlossenen Sprachkreis.
In den 90er Jahren wurde der Dominanz des Sprachparadigmas widersprochen, der epistemologische Focus wird verstärkt nicht mir auf sprachliche Begrifflichkeit gelegt, sondern auf die Sichtbarkeit und damit auf die Bilder gerichtet.
Das ist auch deshalb erforderlich, weil die gesellschaftliche Bedeutung wie Omnipräsenz der Bilder längst unübersehbar geworden seien, die Theorie aber keineswegs auf der Höhe des Geschehens sei. Von Bilderflut ist die Rede, von der »immanenten Ordnung und Reflexivität der Bilder«, von der eigentümlich paradoxen Situation, daß Bilder eine immense Macht gewonnen hätten, aber zugleich auch eine regelrechte Angst provozierten, die Wirklichkeit könne gänzlich von Bildern beherrscht werden. Und schließlich geht diese neue theoretische Auseinandersetzung mit Bildern, Visualität und Bildlichkeit auch von der ebenso nüchternen wie zutreffenden Beobachtung aus, daß in zahlreichen Wissenschaftsbereichen Bilder bereits eine zentrale Rolle spielen, aber erst allmählich in den Fokus der theoretischen Aufmerksamkeit rücken.

1992 Mitchell: Pictorial Turn, er will einen Begriff für die neue gesellschaftliche Bedeutung des Bildes finden.
1993 Boehm: Iconic Turn, konzentrierte sich auf eine Eigensprachlichkeit wie Eigenlogik des Bildes, die explizit auf die Tradition der Hermeneutik zurückgriff und Gadamers Diktum »Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache« auf Bilder übertrug. Sein, das verstanden wird, ist Bild! Boehm versteht dabei den Iconic Turn als konsequente Fortsetzung des Linguistic Turn, als Versuch, »das Bild als ›Logos‹, als sinnstiftenden Akt zu verstehen«.
Die Eigensprachlichkeit der Bilder soll begrifflich erfasst werden.
Mitchell und Bohm unternehmen eine dezidierte Kritik des Logozentrismus der philosophischen Theorie. Beide versuchen Bildlichkeit als ein der Sprache inhärentes Prinzip herauszuarbeiten, unterscheiden sich hingegen in der Frage, inwiefern der Iconic oder Pictorial Turn auch eine gesellschaftliche Reflexion notwendig miteinschließen müsse. Beide haben jedoch nachdrücklich wie überzeugend unterstrichen, daß das »Bild« ein neues Paradigma darstelle, das es theoretisch in den Blick zu nehmen gelte.
Weitere theoretische Erörterungen des Bildbegriffs finden sich bei Hans Belting: als anthropologische Grundfrage wird das Bild betrachtet und die Grundlagen zu einer Bildanthropologie werden gelegt.
Horst Bredekamp versucht, Bild- und Kunstwissenschaft zu verbinden, bildwissenschaftliche Fragestellungen und kunstwissenschaftliche Begriffe und Methoden miteinander zu verzahnen, mithin Bildwissenschaft als Bildforschung zu verstehen. Bredekamp geht es gewissermaßen um eine im philosophischen Sinn pragmatisch gewendete Neuorientierung der Bildreflexion, um eine Theorie des Bildakts, der auch für das Denken konstitutiv sei und somit eine gesellschaftlich-politische Dimension einschließt: Bilder sind geschichts-, handlungs- und theorieprägend. »Ein Bildakt schafft Fakten, indem er Bilder in die Welt setzt«, heißt es programmatisch in seinem Aufsatz »Bildakte als Zeugnis und Urteil«.

Klaus Sachs-Hombach gilt als der Protagonist der Bildwissenschaft. Mit »Bildwissenschaft« ist auch der Name jener neuen Disziplin angeführt, die all jene traditionellen Wissenschaftsdisziplinen miteinschließt, die, so Klaus Sachs-Hombach, der als Herausgeber von mehreren Bänden der Bildwissenschaft ein theoretisches Profil zu geben versucht, etwas »zum theoretischen Verständnis der Bildthematik beitragen«. Das Spektrum reicht dabei von Natur- und Sozialwissenschaften, über historisch und anwendungsorientierte Disziplinen bis hin zu den Medienwissenschaften.
Hier gehört auch das Projekt Bildkritik Eikones hin.

Ikonische Differenz

Anschauungsnähe geht einher mit begrifflicher Anschlussfähigkeit, die sich aus dem Denken der Differenz ergibt. Sie miteinander zu verbinden, gegeneinander abzuwägen und in ihrer materiellen Beschaffenheit zu untersuchen, ist Aufgabe einer wissenschaftlichen Arbeit, deren angemessener Name Bildkritik lautet.
Die ikonische Differenz bezeichnet die Grundbedingungen, unter denen Bilder – also materialkodifizierte, visuell zugängliche Systeme Bedeutung generieren. So erzeugen Bilder Sinn. Denn Bilder sind Referenzsysteme. Sie generieren ihre Bedeutung dadurch, dass sie sich beziehen. Lingustisch gesprochen beziehen sie sich auf vorhandene Texte und schaffen so etwas wie eine Anschauung von ihnen. Somit liegt der Prätext außerhalb des Bildes, indem er aber den Sinn des Bildes begründet. Das Bild funktioniert als autopoietisches System auf Seiten der Materialität, der Wahrnehmung und auf Seiten des Kontextes, in den es gestellt wird.
Kann das Auge “denken”? Kann es Einsichten gewinnen?
Ja, durch Anschauungsnähe und damit verbundener Anschlussfähigkeit!
Das “Auge” gewinnt Anblicke. In diesem Wahrnehmungsprozess wird das Sichtbare so zurechtgerückt, dass es sich “zeigt”, dass es sich darbietet. Das Auge bringt den Blick so ins Spiel, dass sich eine Sache aufschließt, indem sie sich auf uns hinordnet. Das ist gemeint, wenn wir davon sprechen, “wir machen uns ein Bild”. Es bedeutet nichts anderes als ein visuelles Entsprechungsverhältnis herzustellen.
Mit dem Auge denken bedeutet, aufbder elementaren visuellen Ebene eine anschauliche Korrespondenz ausfindig machen.
Der Betrachter schafft sich Anblicke, der Anblick ist das blickende Tun. Damit wird das Auge selbst “bildend”! Es aktiviert ein Vermögen, das darin besteht, anschauliche Entsprechungen auszukundschaften. (vgl. I.Kant: Einbildungskraft)
Der “Blick” wird zu einem “Anblick”, er verschränkt sich mit der Sache, dem Objekt.
Denn Bilder besitzen eine eigene nur ihnen zugehörige Logik, wobei unter Logik verstanden wird eine konsistente Erzeugung von Sinn aus genuin bildnerischen Mitteln. Diese Logik ist erst einmal nicht-prädikativ, nicht nach dem Muster eines Satzes oder anderer Sprachformen gebildet. Eigentlich wird diese Logik nicht gesprochen, sondern wahrnehmend realisiert.