Montag, 18. Mai 2015

Was ist "Philosophieren"?

Prolegomena zur Philosophie

1. Aufgabe der Philosophie
Philosophieren bedeutet, im offenen Dialog über die leitenden Begriffe unseres Daseins eine Verständigung herbeizuführen. "Sich im Denken orientieren." (Kant)
Begriffe leiten als Unterscheidungsgewohnheiten das Leben. 
Begriffe bestimmen somit das Leben, klare Begriffe lassen auch das Leben klarer erscheinen. Denn Begriffserklärungen sind handlungsrelevant.
Philosophieren ist die Verständigung über die Bedeutung der Begriffe. Damit ist Philosophie Lebensorientierung.
Bei der Philosophie ist zu unterscheiden zwischen
Schulbegriff Philosophie, der sich mit Fragen auseinandersetzt, in denen die Philosophie auf sich selbst als Disziplin schaut und eine Selbstklärung ihrer eigenen Methoden und Erkenntnisgrenzen anstrebt,
Weltbegriff Philosophie, der konkrete Orientierungs- und Lebensangebote anstrebt.
Das Philosophieren steht immer in der Spannung dieser beiden Vorgehweisen von alters her, z. B. zu a) Platon, zu b) Sokrates.
Jeder, der philosophiert, erfährt unmittelbar, dass die untersuchten Fragen schnell relevant für das eigene Leben werden. Denn jede Erkenntnis über einen Begriff verändert mich in meinem Sein und Selbstverständnis. Jede theoretische Reflexion (Denken über das Denken) hat praktische Konsequenzen. In derKlärung von Begriffen ruht damit ein Stück Kulturrevolution (was ist etwa über Gott, Freiheit, Wahrnehmung, Vernunft ... zu sagen!). Philosophieren bracht die Gelenkigkeit des Denkens.


2. Philosophie als Denken über das Denken
Philosophie bezeichne ich als eine Kultur der Nachdenklichkeit, ein Nachdenken über Gedanken, Meinungen, Überzeugungen und Handlungen, ein Hinterher-Denken, um Grundsätze zu eruieren.
Philosophischer Anlass dabei ist die auftretende Unsicherheit und der Zweifel, ob es "bei allem" seine Richtigkeit hat und wie es zueinander passt, ausgelöst durch ein wachsendes Bedürfnis nach gedanklicher Orientierung im Bereich der Grundsätze unseres Denkens, Erkennens und Handelns, z.B. 
Gibt es Wahrheit oder ist alles Meinungssache?
Was ist Moral und warum sollte man moralisch sein?
Was ist Glück und wie kann man glücklich werden?
Wo verlaufen die Grenzen der Toleranz?
Gibt es einen freien Willen?
Was geschieht bei der Wahrnehmung und wie funktioniert Erkenntnis?
Was ist eigentlich Denken?...
Dabei ist ein Dilemma zu beobachten, denn das philosophische Interesse und das Interesse an der Philosophie als Fachwissenschaft ist weit auseinandergetreten. Die offene Frage dabei ist die nach den wissenschaftlichen Standards. Als Beispielpositionen ist Heidegger mit seiner Setzung zu nennen, "die Wissenschaft denkt nicht", was nichts anderes bedeutet als der Auszug der Philosophie aus dem wissenschaftlichen Diskurs. Dagegen spricht Jaspers von der Philosophie als eine Tätigkeit der Existenzerhellung, die jenseits der Wissenschaften im einzelnen erfolgt. Die Lösung des Dilemmas läuft auf die Frage des Pragmatismus zu, welchen pragmatischen Nutzen bringt die Philosophie.
Dagegen unterstreicht Hegel, "worauf ich überhaupt in meinen philosophischen Bemühungen hingearbeitet habe und hinarbeite, ist die wissenschaftliche Erkenntnis der Wahrheit. Dabei erscheint als Zielvorstellung, dass die Philosophie der Form der Wissenschaft näher komme, dem Ziel, ihren Namen der "Liebe zur Weisheit" ablegen zu können, um wirkliches Wissen zu sein. Denn wirkliches Wissen ist als Philosophie nur möglich, wenn sie wissenschaftlich ist. (Hegel, Phän. des Geistes)
Unsere Kenntnis soll Erkenntnis werden durch den Transfer der Kenntnisse in einen Systemkontext. Hier entscheidet es sich, ob das, was wir zu wissen glauben (Kenntnis), wirkliches Wissen ist oder nicht. Dabei ist der philosophische Weg von der propositional definierten Systemwissenschaft zur prozedural definierten Forschungswissenschaft zu beschreiten.


3. Zur philosophischen Methodik
Philosophen sind in ihrer praktischen Arbeit Begriffshandwerker. Zwei der wichtigsten Werkzeuge oder Methoden sind dabei das Analysieren und Argumentieren. Meist startet es mit Fragen in einem allgemeinen Sinn, Fragen, die das, was geglaubt wird, hinterfragen, Fragen, die nach dem Grund der Dinge suchen. Dabei ist die Haltung einer Skepsis leitend, denn was zuvor als wahr oder wirklich vorausgesetzt wurde, wird nun zweifelhaft.


4. Maßstäbe - Standards - im Philosophieren
Was sind dabei die Standards in der Philosophie, die Maßstäbe, nach denen sich eine Beurteilung zu richten hat?
Solche Standards, die außer Streit und Frage gestellten Sätze sind nicht einfach gegeben. Deshalb spielt sich das gesamte philosophische Bemühen in einer Art Orientierungsphase ab, ausgehend von philosophischen Fragen, die umformuliert, verschoben oder zerlegt werden (Derrida) mit dem Ziel, zu beantwortbaren Ersatzfragen zu kommen, die dann gewisse Standards erkennen lassen. Dabei ist zu unterstreichen, dass die Standards nicht die Voraussetzung, sondern das Ziel des philosophischen Diskurs sind. 
In den Einzelwissenschaften geschieht dieser Prozess in anderer Weise des Denkens. Hier geht es um Nachvollziehbarkeit, Verlässlichkeit und Standpunktunabhängigkeit. Deshalb bleibt die Frage, ob Philosophie eine solche Einzelwissenschaft sein kann, die nach den vorgegebenen Standards arbeitet. Die Antwort lautet nein, denn philosophische Standards ergeben sich im Diskurs. Philosophie arbeitet mit Begriffen, die nach Bedeutung fragen, z.B. Was heißt verlässlich oder was bedeutet Realität. 
Dabei werden Möglichkeiten "durchgespielt", woraus sich dann Theorien für Einzelwissenschaften entwickeln lassen, die als Theorie in Teilaspekten wissensmäßig beantwortbar sind und in ihrer Fragehaltung Standards in Aussicht stellen oder annehmen, die wissensmäßig beantwortbar sind, etwa in der Linguistik, der Psychologie, der Medizin usw.
Allerdings geht es nicht darum, Philosophie in Einzelwissenschaften aufzulösen, sondern um die eigenständige philosophische Funktion des Koordinierens von Perspektiven auf die Fragerichtung als Fragehaltung.
Die Funktion der Philosophie besteht darin, wissenschaftliche Interessensgebiete in den Blick zu bringen, um nach deren Bedeutung zu fragen. Die sich entwickelnden Theorien der Einzelwissenschaften wirken dabei wieder verändernd auf die philosophische Ausgangsfrage oder philosophische Lage zurück.


5. Konsequenzen für eine philosophische Vorgehensweise
Philosophie heute hat sich mit den Einzelwissenschaften auseinanderzusetzen, um Standards zu entwickeln.
Philosophie heute hat im Blick auf die Philosophiegeschichte bereits Gedachtes zusammenzustellen und einer kritischen Deutung zu unterziehen.
Philosophie heute hat den Bezug auf das in der Tradition schon Gesagte bzw. Erkannte herzustellen.
Philosophie heute hat eine Frage, einen Begriff, ein Problem in den Kontext einer entwickelten philosophischen Sprache zu stellen, um der Frage, dem Begriff eine sinnvolle Deutung zu geben.


6. Zusammenfassung
Philosophie findet die Maßstäbe (Standards) ihrer Aussagen einerseits im Hinarbeiten auf die Einzelwissenschaften, die von ihr selbst zu unterscheiden sind, andererseits in ihrer eigenen Geschichte, in dem, was schon gesagt wurde zur angesprochenen Sache. Hier gilt es, die unterschiedlichen Positionen zu analysieren.
So erarbeitete Maßstäbe versprechen Verlässlichkeit und Kontrolle, auf deren Basis sich Neues entwickelt.

Heinz Hübner, Mai 2015