Dienstag, 5. Juli 2016

wie kann ich "glaube" fassen?

Zu Paul Tillich "Glaube - formal und material"
nach P. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, S. 155ff

Tillich wendet sich gegen die Verwechslung des Glaubens mit dem Fürwahrhalten. Deshalb definiert er "Glauben" neu von der formalen und materialen Seite her.
Die formale Seite des Glaubens umfasst jede Art von Glauben in allen Religionen und Kulturen und ist zu beschreiben als "Zustand des Ergriffenseins durch das, worauf sich die Selbst-Transzendierung richtet: das Unbedingte in Sinn und Sein." Kürzer formuliert er: "Glaube ist das Ergriffensein durch das, was uns unbedingt angeht."
      Dabei differenziert er die Korrelation eines subjektiven und eines objektiven Elements, das
      Anliegen des Menschen und die Unbedingtheit des Anspruchs.
      Jeder Mensch hat Glauben, denn es gehört zum Wesen des menschlichen Geistes, auf etwas
      Unbedingtes bezogen zu sein. Damit konstatiert Tillich einen fundamentalen und universalen
      Glaubensbegriff. Einen geschichtlichen Kampfplatz zwischen Glaube und Unglaube kann es
      somit nicht geben, allein verschiedene Formen des Glaubens, die sich darin unterscheiden,
      ob sie sich inhaltlich (materialiter) auf etwas Endliches und Bedingtes oder etwas Unendliches
      und Unbedingtes beziehen. Tillich spricht zum ersten von einem unwürdigen, zum zweiten
      von einem würdigen Glauben.
B)  Die materiale Seite des Glaubens wird von Tillich beschrieben als Zustand, "in dem der
      Mensch vom göttlichen Geist und für die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens
      geöffnet ist." Oder genauer (resp. christliches Glaube): "Glaube ist der Zustand des 
      Ergriffenseins durch das neue Sein, wie es in Jesus als dem Christus erschienen ist."
      Damit wird materialiter die spezielle Definition des christlichen Glaubens zum Ziel,
      worauf alle Formen des Glaubens ausgerichtet sind, wobei der Anstoss stets der
      göttliche Geist ist, der den Zustand des Glaubens eröffnet.
Wenn Glaube - so Tillich - die Überwindung der Konflikte und Zweideutigkeiten im Leben des menschlichen Geistes durch den göttlichen Geist bezeichnet, kann es keine intellektuelle Zustimmung zu solcher Überwindung geben. Die Verifizierung des Glaubens bezieht sich nicht auf die Subjekt-Objekt-Struktur der menschlichen Wirklichkeit, sondern ergibt sich aus der Transzendierung dieser Struktur. Glaube stammt nicht vom Menschen, aber er lebt im Menschen. So ist sich der Mensch dessen bewusst, dass der göttliche Geist in ihm wirkt. Da Geist und Glaube im Menschen sind, weiß er um sie.
Dabei ist stets davon auszugehen, dass Glaube sich im Zustand des Ergriffenseins durch den göttlichen Geist ereignet. Er kann nicht mit menschlichen Geistfunktionen identifiziert oder aus ihnen abgeleitet werden. Damit stellt Tillich fest, dass Glaube weder durch Prozesse des Intellekts, noch durch Bemühung des Willens oder Bewegungen des Gefühls erzeugt werden kann.
Zusammenfassend spricht er inhaltlich von drei Elementen, in denen der Glaube unterschieden werden kann:
Das Geöffnetwerden durch den göttlichen Geist.
Das Aufnehmen des göttlichen Geistes trotz der unendlichen Kluft zwischen göttlichem und menschlichem Geist.
Die Erwartung der endgültigen Teilnahme an der transzendenten Einheit unzweideutigen Lebens.
Die drei Elemente sind korrelativ, folgen nicht linear aufeinander, sondern sind gegenwärtig, wo immer Glaube ist, der in allen Lebensprozessen sich als wirksam erweist.

Das Phänomen "Hören"

Nur Zuhören

Nicht wie wir zu anderen sprechen, noch was wir zu anderen sagen bestimmt unsere inneren Beziehungen, sondern wie wir den anderen  zuhören. Das heißt: wie lange und wie tief wir das Gesagte in uns klingen lassen können, ohne sofort zu reagieren. In dieser diziplinierten Verhaltenheit des Zuhörers liegt der ganze Kunst des Zuhörens.

Nur der hört wirklich zu, der nicht nur während jemand spricht, sondern auch nachdem jemand gesprochen hat, immer noch zuhören und in sich hineinhören kann.

Sprechen dient nur äußerlichem Kontakt und äußerlicher Kommunikation zwischen Menschen. Innerer Kontakt mit einem anderen Mensch entsteht aus einem nach innen gerichteten Horchen.

Zuhören ist die Urkunst des eigentlichen Da- und Mitseins, eine stille Verkörperung unseres Selbstseins, die das Wesen des anderen berührt und zu sich heranzieht. Zuhören ist echte und wesentliche Beziehung.

Wie und worüber jemand zu uns spricht ist auch durch unser Zuhören bestimmt. Die Art und Weise, wie wir zuhören, läßt den Sprecher spüren wofür wir offen sind und wofür nicht.

Sprechen erlaubt uns, über alles zu reden, ohne wirklich etwas von uns oder zu jemand zu sagen. In Wörtern kann ich ein “es” erklären. Nur schweigend und wortlos kann ich ganz Ohr sein und mein inneres Ich auf ein “Du” richten.

Sprechen zwingt uns, unser ganzes Denken und Fühlen durch intellektuelle und emotionelle Begriffe zu verstehen. Zuhören erlaubt uns, unser inneres Wissen und unsere inneren Gefühlstöne leiblich zu erleben und schweigend zu verkörpern.

Der andere wird nur dann zum wirklichen Gesprächspartner, wenn das, was gesagt wird, weder eine Rede über etwas ist, noch zum überreden eines anderen dient, sondern eine Antwort ist auf ein bisher Unausgesprochenes.

Wo unsere Aussagen nichts unausgesprochen lassen, sagen sie nichts. Wo unser Ohr nicht auf das Ungesagte horcht,  spricht uns nichts an.

Zuhören ist nicht nur der zeitweilige Verzicht, etwas zu sagen, sondern die Fähigkeit, unsere möglichen Ant-worten wortlos und wissentlich zurückzuhalten. Der verhaltende Zuhörer ist sich seines eigenes Ungesagten nicht nur bewußt, er un-sagt es durch die lautlosen Töne seines Hörens und Horchens.

Wenn man sich in etwas hineingehört hat, dann gehört man dazu.

Gruppenzugehörigkeit erwächst aus gegenseitigem Zuhören zu den Einzelnen durch das jeder seine eigene Stimme in den Worten des anderen hören kann.

Sogenannte “Metakommunikation” ist der eigentliche Grund der Kommunikation. Wo es keine Metakommunikation gibt, gibt es keine echte Kommunikation.

Der Kunst der echten Kommunikation ist die Kunst der bewußten Metakommunikation.

Sogenannte “dynamische Führungskräfte” sind oft Menschen, die ständig unter dem inneren Zwang stehen, aus einem Gespräch etwas  “machen” zu müssen, zu allem etwas zu fragen oder zu sagen zu haben, und auf andere sofort reagieren zu können.  Innere Stille und Schweigen können sie nicht ertragen. Deshalb ist es ihnen fast unmöglich, anderen Menschen wirklich zuzuhören. Ihr narzistischen Selbstbild erlaubt ihnen nicht, berührt und betroffen zu sein, oder durch das, was gesagt wird, zum Nachdenken gebracht zu werden.

Die Annahme, daß wir uns in einer Fremdsprache auf genau die gleiche Weise ausdrücken können müßten wie in unserer Muttersprache, ohne daß die Fremdsprache in ihrer Fremdheit auf uns einwirkt, stellt Sprachen als bloße Werkzeuge dar, die beliebig gegeneinander ausgetauscht werden können.

Wenn wir nicht bereit sind, unsere eigene Stimme durch die Stimme der Fremdsprache bestimmen zu lassen, dann scheint all das, was der Fremdsprache eigen, aber der Muttersprache fremd ist, nicht ganz zu “stimmen” oder gar “unlogisch” zu sein.

Sprache ist nicht durch Logik bestimmt - im Gegenteil, das, was wir logisch nennen, ist das, was mit der durch die Mutterprache bestimmten Struktur unsere Denkens übereinstimmt.

Lernerfolg im Spracherwerb heißt nicht, daß man eine Fremdsprache beherrscht, sondern daß man sich ihr hingibt.

Eine Fremdsprache zu lernen bedeutet vor allem, sich selbst und die Sprache mit einem neuen, anderen Ohr zu hören... das Sprechen folgt dann beinahe von selbst.

Eine Fremdsprache zu lernen heißt nicht nur, sich mit anderen Worten auszudrücken, sondern sowohl sich selbst als auch die Sprache selbst mit anderen Ohren zu hören.

Um ein französisches Wort richtig zu hören, muß man es mit einem französischen Ohr hören.

Um ein fremdes Wort oder einen fremden Satz richtig aussprechen zu können, muß man erst lernen, das Wort oder den Satz  innerlich zu wiederholen und  wiederhallen zu lassen.

Aussprache in jeder Sprache ist bestimmt durch inneres Hören und die Stimme unseres inneren Ohres.

Man übersetzt nicht Wörter. Man entnimmt dem einen Wort den Kern der Bedeutung und planzt ihn in den Boden der anderen Sprache.

Der Niedergang der Kultur

Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug

Ein gegenwartsdiagnostischer Kernpunkt der Dialektik der Aufklärung ist die „Aufklärung als Massenbetrug“. Unter Kulturindustrie ist die kommerzielle Vermarktung von Kultur zu verstehen; der Industriezweig, der sich gezielt mit der Herstellung von Kultur beschäftigt. Im Gegensatz dazu steht die authentische Kultur.

Nach Auffassung Horkheimers und Adornos raubt industriell hergestellte Kultur dem Menschen die Phantasie und übernimmt das Nachdenken für ihn. Die „Kulturindustrie“ liefert die „Ware“ so, dass dem Menschen nur noch die Aufgabe des Konsumenten zukommt. Durch Massenproduktion ist alles gleichartig und unterscheidet sich höchstens in Kleinigkeiten. Alles wird in ein Schema gepresst und erwünscht ist es, die reale Welt so gut wie möglich nachzuahmen. Triebe werden so weit geschürt, dass eine Sublimierung nicht mehr möglich ist.

Als Beispiel nennen sie den Kinofilm. Prinzipiell sind alle Filme ähnlich. Sie sind darauf ausgelegt, die Wirklichkeit möglichst gut wiederzugeben. Auch Fantasy-Filme, die den Anspruch erheben, nicht realitätsnah zu sein, werden den Anforderungen nicht gerecht. Egal, wie außergewöhnlich sie sein wollen, das Ende ist zumeist schon sehr schnell absehbar, da es nun mal viele Filme gibt, die nach dem gleichen Schema produziert wurden. Des Weiteren werden z.B. durch erotische Darstellungen Triebe so weit gestärkt, dass eine Umwälzung auf anderes nicht mehr möglich ist.

Das Ziel der Kulturindustrie ist – wie in jedem Industriezweig – ökonomischer Art. Alles Bemühen ist auf wirtschaftliche Erfolge ausgerichtet.

Die authentische Kultur hingegen ist nicht zielgerichtet, sondern Selbstzweck. Sie fördert die Phantasie des Menschen, indem sie Anregungen gibt, aber anders als die Kulturindustrie, den Freiraum für eigenständiges menschliches Denken lässt. Authentische Kultur will nicht die Wirklichkeit nachstellen, sondern weit über sie hinausgehen. Sie ist individuell und lässt sich nicht in ein Schema pressen.

Als Ursachen für die Entstehung von Kulturindustrie führen Horkheimer und Adorno an, dass sich Firmen finden, die Kultur vermarkten und dadurch das ökonomische Ziel der Profitmaximierung verfolgen. Durch diesen Umstand bleibt Kultur nicht, was sie ist bzw. sein soll, sondern wird eine Ware wie jede andere.

Banal und läppisch von Gott reden - Predigten kritisch betrachtet

Die Rede von Gott in heutigen Predigten Mit Gott auf du und du

Aus Deutsches Pfarrerblatt - Heft: 6 / 2016
Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts.

Von: Markus Beile

I. Das Wagnis eines jeden Sonntags

Ich gestehe es freimütig: Das Predigen ist mir in meiner Tätigkeit als Pfarrer nicht leicht gefallen. Die Schwierigkeit des Predigens bestand für mich weniger darin, die richtigen Formulierungen zu finden oder auf der Kanzel zu stehen im Angesicht vieler Menschen. Nein, da gab es eine grundsätzliche Schwierigkeit, vor allem, was das Reden von Gott anbetrifft: Wie kann man angemessen von Gott reden? War das nicht eine unmögliche Möglichkeit? »Gott als das Geheimnis der Welt«, so lautet der Titel eines berühmten Buches von Eberhard Jüngel. Wie soll man von etwas reden, das im Letzten ein Geheimnis ist und bleibt?

Im Studium hatten wir den berühmten Vortrag von Karl Barth besprochen, der die grundsätzliche Schwierigkeit, von Gott zu sprechen, folgendermaßen auf den Punkt gebracht hat: »Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.« Diese Worte erleichterten mir – wie man sich denken kann – das Predigen nicht gerade. Nun, mit den Jahren habe ich mich etwas leichter getan. Aber – trotz aller hilfreichen Routine – blieb das Predigen dennoch immer auch ein Wagnis, ein Ringen, ein Kampf, eine große Herausforderung – jedes Wochenende neu.





II. Gott ist ein netter Kerl

Zum Glück hat sich das in den letzten Jahren alles verändert. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich mir das Predigen völlig unnötig so schwer gemacht habe. Die Rede von Gott ist nämlich viel einfacher, als ich dachte. Das konnte ich anhand von Predigten lernen, die Kolleginnen und Kollegen gehalten und veröffentlicht haben. Im Folgenden möchte ich anhand von Zitaten ein wenig spazieren gehen durch einige Regionen der modernen Predigtlandschaft (ich beziehe mich dabei auf Predigten im Buch »Gottesdienstpraxis: Taufe, Gütersloh 2010« und in den Arbeitshilfen »Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten« bzw. »Gott segnet, was wir brauchen. Ansprachen zu Einweihungen«, beide herausgegeben vom Gottesdienstinstitut Nürnberg). Ich kann jetzt schon verraten: Es ist ein netter Kerl, der liebe Gott. Vielleicht ist er auch eine nette Frau – da gibt es noch letzte Unsicherheiten. Aber ansonsten ist alles völlig klar und einfach:

Wenn Sie, lieber Leser, liebe Leserin, meinen, Sie seien bisher Gott noch nicht begegnet, so kann das eigentlich gar nicht sein. Denn er ist mit Ihnen unterwegs. Und zwar überall hin: »Ich gehe mit dir, wenn du zu deinen Freundinnen und Freunden gehst, wenn du in die Schule gehst, wenn du in Ferien fährst«1. Das ist Ihnen bisher noch nicht so aufgefallen? Kaum zu glauben! Denn Gott ist schließlich kein stummer Begleiter. Er spricht zu Ihnen: »Manchmal ruft er den Namen ganz sachte, manchmal vielleicht auch laut und deutlich: Kind, pass auf! Kind, komm zurück!«2 Manchmal spricht Gott, wie es meine Mutter früher getan hat: »Du brauchst nicht schmutzig herumzulaufen«3.

Ja, Gott begleitet Sie und mich. Jeden Menschen begleitet er, durch dick und dünn. Er hat immer tolle Ideen für uns: Zum Beispiel »wenn du traurig bist, verspricht Gott, sende ich dir einen Engel, der dich zum Lachen bringt.«4 So gesehen kann’s einem nie schlecht gehen.

Und weil er immer bei Ihnen ist, siezt er Sie auch nicht (mehr). »Wir duzen ihn ja auch. Gott sagt zu mir nicht: Pfarrer N. Sondern er nennt mich bei meinem Vornamen: N.«5 Und das Tollste: »Wenn du was ausgefressen hast … Kein Problem! Gott hat dich immer lieb.«6 »Gott hält ohne Vorbehalte zu jedem von uns.«7 Ist das nicht einfach nur klasse?

Über konfessionelle Unterscheidungen ist Gott dabei erhaben: »Gott schaut, soweit ich informiert bin, nicht zuerst in der Liste nach: Ist die katholisch? Ist der evangelisch?«8 Und jetzt kommt das Beste: Das Ganze kostet nicht einmal etwas! Jedenfalls nicht direkt: »Gott bittet dich … nicht zur Kasse. Das macht für ihn die Kirche mit der Kirchensteuer«.9 Aber das muss es dir schon wert sein. Die Kirchensteuer ist ja nicht alle Welt!

Jetzt willst du vielleicht wissen, seit wann dein Freund »Gott« dich begleitet. Das ist ganz eindeutig: seit der Taufe. »Bei der Taufe ist Gott erstmals in deinem Leben aufgekreuzt.«10 Ohne Taufe geht nix! Das ist nun mal so. Kennen tut er dich schon vorher. Aber ab der Taufe »kann Gott sich den Namen merken«11. Nun, dafür muss man Verständnis haben. Gott ist ja schon ein bisschen älter. Aber die Feier der Taufe. Die vergisst er trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht. Da hat er ja auch seinen Auftritt. Bei der Taufe sagt Gott nämlich »ja«12. Sonst nichts. Nur »ja«. Das klingt vielleicht ein wenig einsilbig. Aber später in deinem Leben wird er dann redseliger, wie wir ja schon wissen. Und das Wörtchen »ja« hat ja auch etwas Elementares!

Seit der Taufe weicht dann Gott nie mehr von deiner Seite: »Gott steht zu dir seit deiner Taufe und alle Tage bis ans Ende der Welt. ›DEN‹ haut nix um. Wenn du die Christus-Grenze übertrittst, kannst du immer wieder zurück zu ihm, wenn du merkst: Eigentlich war’s bei ihm besser.«13

Ja, so ist das mit Gott: Er ist einfach ein Lieber, Netter, der immer bei uns ist und uns nichts krumm nimmt. Manchmal ist er ein bisschen vergesslich, aber, nun ja, nobody is perfect. Insgesamt ist er ein toller Typ. Was er alles kann! »Bei den Israeliten damals gab’s das Wunder, dass Gott den wilden Fluss, der einen ins Verderben reißt, einfach angehalten hat!«14 So einer ist Gott! Und was er alles für uns bereithält! »Gott bietet dir in seinem ›Supermarkt‹ an, was er hat und womit du deine Basis-Suppe richtig aufpeppen kannst.«15

Übrigens wissen wir auch, was Gott denkt. Zum Beispiel, als er die Welt geschaffen hat. Da war es so: »So, dachte Gott, jetzt ist es Zeit, den Menschen zu machen. Denn dafür ist Platz jetzt.«16 Auch über seine Geschmäcker und Vorlieben wissen wir vielleicht nicht komplett, aber doch ziemlich gut Bescheid. Zum Beispiel dies: »Gott findet Feuerwehrautos … vermutlich auch toll«17.

Mit Gott auf du und du! So ist das mit Gott! Dass das der alte Karl Barth nicht wusste! Ist schon komisch! Und auch Eberhard Jüngels Buchtitel »Gott als Geheimnis der Welt« wirkt angesichts des Wissens, das wir inzwischen von Gott haben, merkwürdig deplatziert!





III. Lächerliche Predigten

Entschuldigung für die Ironie, aber ich kann einfach nicht anders reagieren, um meinem Ärger Luft zu machen: Ich finde, wir machen uns mit dieser Art von Predigten einfach nur lächerlich.

Da ist zum einen eine unerträglich anbiedernde, gewollt muntere und saloppe Sprache. Mich stößt diese Art der Sprache in der Predigt grundsätzlich ab und ich weigere mich, mich im Gottesdienst auf dieses Niveau herabführen zu lassen. Ich weiß sehr wohl, dass es unterschiedliche Milieus gibt und dass man zu Menschen unterschiedlichen Alters unterschiedlich sprechen muss. Aber muss das heißen, in eine verniedlichende Sprache zu verfallen oder Jugendsprache zu imitieren? Was will man mit Formulierungen wie »Gott bietet dir in seinem ›Supermarkt‹ an, was er hat und womit du deine Basis-Suppe richtig aufpeppen kannst« eigentlich erreichen? Will man Nähe suggerieren? Oder den Jugendlichen gefallen? Ich glaube nicht, dass man den Jugendlichen damit einen Gefallen macht. Ich bezweifle sogar, dass diese die bemühte Jugendsprache in der Predigt wirklich honorieren.

Unerträglich sind für mich auch die Plattitüden und die Vielzahl von theologischen Fehlern, von denen manche Predigten geradezu strotzen. Um noch einmal eines der genannten Beispiele aufzugreifen: Ich empfinde eine Aussage wie »Ich meine übrigens, dass Gott uns Deutsche nicht siezt. Wir duzen ihn ja auch« einfach nur als peinlich und albern. Dämlichkeiten dieser Art tun einfach weh.

Aber der Kern des Problems, das ich sehe, ist noch einmal ein anderer. Nämlich das Gottesbild, das mit Predigten dieser Art transportiert wird. Hier geht es um nicht mehr oder weniger als um das Zentrum unseres theologischen Denkens und Arbeitens. Ich nehme wahr, dass sich – und die vorgestellten Predigten sind für mich ein Indikator dafür – vermehrt ein platter Theismus breitmacht, als ob es die theologischen Diskussionen und Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte, ja Jahrhunderte nie gegeben hätte. Gott wird (wieder) unbefangen als Weltraummensch vorgestellt, eine Art älterer Onkel, der uns duzt, manchmal ein wenig vergesslich ist, aber immer lieb bleibt, was wir auch ausgefressen haben. Man mag sich bei dieser Art von Gottesbild auf alles Mögliche berufen, aber bitte nicht auf die Bibel! Darum soll es im Folgenden gehen. Es seien mir also ein paar biblisch-theologische Anmerkungen zur Rede von und über Gott gestattet.





IV. Fünf Problemhorizonte

Ich sehe bei der Art, von Gott zu reden, wie die oben zitierten Predigten es tun, fünf Problemhorizonte, die sich auftun. Ich gehe diese der Reihe nach durch.



1. Nicht kenntlich gemachte Ableitungen

»Gott sagt bei der Taufe ›ja‹ zu dir«. Dieser Satz ist bei Taufansprachen häufig zu hören18. Nichtsdestotrotz wirkt er ein wenig bizarr, als ob Gott bei der Taufe unmittelbar anwesend sei und sein »Ja« zum jeweiligen Täufling hauchte. So ist der Satz sicherlich nicht gemeint. Es geht nicht um ein unmittelbares, wörtlich verstandenes Reden Gottes bei der Taufe. Wie ist dieser Satz aber dann zu verstehen oder anders gefragt: Wie kommt es zu diesem Satz?

Es handelt sich um eine komplexe Ableitung aus der Taufgeschichte Jesu. Die Evangelien erzählen, dass sich bei der Taufe Jesu der Himmel öffnet und Gottes Stimme zu vernehmen ist: »Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe« (Mt. 3,16). Pfarrerinnen und Pfarrer beziehen diese Aussage Gottes über Jesus auf den Täufling. Das kann man tun. Man sollte dies aber als Ableitung einer Aussage aus einer biblischen Geschichte, die eigentlich einem anderen galt, kenntlich machen. Sonst wird der Zusammenhang nicht mehr deutlich und die Aussage »Gott sagt bei der Taufe ›ja‹ zu dir« wird unverständlich oder wirkt gar eigenartig-bizarr.

Ich glaube, viele Predigten leiden unter der Vielzahl von nicht mehr kenntlich gemachten Ableitungen oder dogmatischen Summierungen. Dietrich Ritschl schreibt: Wenn »Summierungen nicht mehr im direkten Bezug zu den ursprünglichen Stories verstanden werden, sondern Anlass zu ›Ableitungen‹, wie ich sie nenne, geben, und sogar Ableitungen von ›Ableitungen‹ möglich werden – also Ableitungen von Ableitungen von summierten Stories – dann sind einerseits dem Missverstehen und andererseits dem Aberglauben Tür und Tor geöffnet. Dies ist die Situation der Theologie und Kirche seit der Zeit der Alten Kirche. Denn nun kann man sagen: ›Das Blut Jesu rettet‹, ›Das Kreuz nützt‹ (auch als Zeichen aus Holz und Metall, das man dem Feind oder einer Krankheit entgegenhält), ›Die Bibel will‹, ›Der Glaube glaubt‹, und ungezählte andere, in sich völlig unsinnige Formulierungen«19.



2. Die Bibel ist nicht Gottes Wort

Der biblischen Tradition, auf die sich Predigten berufen, wird von Seiten der Christen Offenbarungscharakter zugesprochen. Egal wie man »Offenbarung« auch fasst, immer handelt es sich bei der biblischen Tradition zugleich um Texte, die Menschen ersonnen und aufgeschrieben haben. Die Bibel ist nicht Gottes Wort. Theologisch richtiger wäre die Glaubensaussage: »In der Bibel ist Gottes Wort«, verhüllt, verdeckt, immer vermittelt durch menschliche Worte, immer umstritten.

Diese Erkenntnis ist wichtig. Sie bewahrt uns davor, jedem Text in der Bibel die gleiche Dignität zuzuschreiben (was wir in der Praxis auch nicht tun). Nicht wenigen Texten in der Bibel werden wir heute sogar in aller Entschiedenheit widersprechen müssen (vgl. z.B. 1. Sam. 15, wo Gott zu Saul sagt: »Töte ohne Erbarmen Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder, Schafe, Kamele und Esel.«). Weil Texte von Menschen aufgeschrieben sind, die in einer bestimmten Zeit gelebt haben, die ihre Werte und Haltungen in die Texte eingetragen haben und ihr Verständnis von Gott, ist es wichtig, diese Texte auch zu kennzeichnen als menschliche Deutungen20. Ich habe immer mehr Schwierigkeiten damit, wenn Predigende unbefangen sagen, was Gott möchte und wie er denkt. Aussagen wie »Gott möchte, will« usw. sind theologisch stimmiger, wenn sie bezogen werden auf die Person, die eine solche Aussage trifft (also: »Der Prophet Jeremia ist sich sicher, was Gott von ihm will« oder »Ich glaube, dass Gott …«). Dann kann man sie entsprechend einordnen und notfalls auch kritisieren. Würden wir Predigende dazu übergehen, in dieser indirekten Form von Gott zu sprechen, würden wir uns in der Kirche viele Probleme ersparen.



3. Metaphorisch-symbolische Rede von Gott

Die biblische Rede von Gott ist immer metaphorisch-symbolisch. »Gott«, behauptet der evangelische Theologe Eberhard Jüngel, »ist ein sinnvolles Wort nur im Zusammenhang metaphorischer Rede«21. Der Theologe Paul Tillich hat die symbolische Redeweise als die authentische und unhintergehbare Sprache aller Religion bezeichnet. Diese theologische Erkenntnis – habe ich den Eindruck – droht immer mehr zu verschwinden.
Was heißt metaphorisch bzw. symbolisch? Metaphorisch meint einen Vergleich. Wir sagen zum Beispiel: Elvira ist eine Schlange. Damit meinen wir, dass bestimmte Eigenschaften einer Schlange übertragen werden können auf Elvira. Wichtig ist, sich klarzumachen, dass Elvira nicht im wörtlichen Sinne eine Schlange ist.

Das Symbol ist die Region des Doppelsinnes, hat der Philosoph und Theologe Paul Ricoeur einmal gesagt. Ein Herz hat nicht nur eine Bedeutung für sich, es steht auch für etwas, zum Beispiel für die Liebe. Der Ring kann Zeichen sein für die Ehe oder die Freundschaft.

Die biblische Rede von Gott ist immer metaphorisch-symbolisch. Das heißt: Alles, was in der Bibel über Gott gesagt wird, will im übertragenen Sinne verstanden werden, ist nur ein Vergleich. Gott ist kein Vater. Er ist wie ein Vater. Gott hat keine Augen im wörtlichen Sinne. Denn sonst könnten wir weiterfragen: Wie groß sind die Augen Gottes? Gott spricht nicht im wörtlichen Sinne. Denn sonst könnten wir weiterfragen: In welcher Sprache spricht Gott? Kann man seine Stimme auf Band aufnehmen?

Die Gefahr, die biblische Rede von Gott wörtlich misszuverstehen, ist immer gegeben. Der Psychologe Tilmann Moser erzählt in seinem Buch »Gottesvergiftung« davon, wie ihn die anthropomorphe Rede von Gott, die er als Kind wörtlich genommen hat, krank gemacht hat. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss der Gefahr, die biblische Rede von Gott wörtlich misszuverstehen, aktiv entgegengewirkt werden.

Bei fast allen Predigten, die ich oben zitiert habe, wird der metaphorisch-symbolische Horizont, in den biblische Gottesrede eingebettet ist, nicht mehr deutlich. Die Gefahr des wörtlichen Missverständnisses ist hoch. Wollen wir das wirklich?



4. Korrektur durch apersonale Gottesbilder

Wir haben die personalen Gottesbilder der Bibel als metaphorisch-symbolische Redeweise bezeichnet. Wichtig ist nun aber auch, dass die Gottesbilder in der Bibel nur teilweise personalen Charakter haben. Es gibt eine Menge von Gottesbildern in der Bibel, die apersonal sind (Gott als Quelle, als Burg, als Fels usw.). Diese korrigieren ein einseitig personal-anthropomorphes Gottesbild. Diese Korrektur durch apersonale Gottesbilder findet in den Predigten, die ich angeführt habe, nicht mehr statt. Hier gibt es nur noch personale Gottesbilder. Und selbst hier findet eine Engführung statt. Es gibt in der Bibel nämlich auch personale Gottesbilder, die – uns verstörend – das Bild des fürsorglichen, lieben Vaters in Frage stellen (z.B. Gott als Kriegsmann).
Die vielen unterschiedlichen Gottesbilder in der Bibel ergänzen sich gegenseitig und stellen sich zugleich wechselseitig in Frage. Hinzu kommt das Bilderverbot, das in der Bibel eine Zentralstellung innehat. Wie anders als wir Christen reden die Juden von Gott, mit viel mehr Ehrfurcht, Respekt und Zurückhaltung! Sie trauen sich nicht einmal, den Namen Gottes auszusprechen!



5. Die Predigthörenden ernst nehmen

Predigten beziehen sich einerseits auf die biblische Tradition. Andererseits beziehen sie sich auf Menschen aus heutiger Zeit, die Predigthörenden. Die Situation der Predigthörenden in der Postmoderne ist geprägt durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und einem religiösen Markt, auf dem sich eine Vielzahl von Religionen präsentieren. In der Theologie hat man das Gespräch mit den Naturwissenschaften und mit anderen Religionen längst aufgenommen. Das hat zu spannenden Diskussion geführt22, die Pfarrerinnen und Pfarrer nicht ignorieren sollten, wollen sie ihre Predigthörenden wirklich ernstnehmen. Davon ist jedoch in den von mir zitierten Predigten nichts zu sehen. Nähe zu den Hörenden wird allein über eine anbiedernde Sprache hergestellt. Das kann nicht gut gehen!




V. Läppisch von Gott reden?

Fassen wir zusammen: Ich sehe in zumindest einigen modernen Predigten eine immer ungehemmtere Tendenz, von Gott in einer läppischen, banalen und biblisch-theologisch höchst fragwürdigen Art zu sprechen. Was ich mir von Predigenden stattdessen wünsche, ist ein mehr tastendes, ahnendes, metaphernreiches und symbolisch verschlüsseltes Reden von Gott. Vielleicht ist es genau das, was die Predigthörenden in heutiger Zeit von uns erwarten und was wir ihnen verweigern.

»Gott – das Geheimnis der Welt«: Vielleicht muss man wieder mehr theologisch ringen um die richtige Art und Weise, von Gott zu reden. Aber ein solches Ringen aktiviert auch die theologischen Gehirnmuskeln. Und das hat noch niemandem geschadet!



▸ Markus Beile





Anmerkungen:

1 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 81.

2 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 89.

3 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 23.

4 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 83.

5 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 88

6 »Gott, der dich immer lieb haben wird« (in: Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 79).

7 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 122.

8 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 70.

9 Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten, 9.

10 Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten, 19.

11 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 88.

12 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 75.

13 Von Glückskeksen und Überraschungseiern. Vier Konfirmationspredigten, 9.

14 Ebd.

15 Ebd.

16 Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 65.

17 Gott segnet, was wir brauchen. Ansprache zu Einweihungen, 8.

18 Vgl. z.B. Gottesdienstpraxis Taufe 2010, 75.

19 Dietrich Ritschl, Zur Logik der Theologie, München 1984.

20 »Alles Anschauen«, schreibt der evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher (mit »Anschauen« meint er die Wahrnehmung der uns umgebenden Wirklichkeit), »geht aus von einem Einfluss des Angeschauten auf den Anschauenden, von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem letzteren seiner Natur gemäß aufgenommen, zusammengefasst und begriffen wird« (in: Friedrich Schleiermacher, Über die Religion, Göttingen 61967, 52).

21 Eberhard Jüngel, Thesen zur theologischen Metaphorologie, in: Jean Pierre von Noppen (Hg.), Erinnern, um Neues zu sagen, Frankfurt 1988, 53.

22 Vgl. hierzu beispielhaft das Buch »›Gott‹, ›Welt‹ und ›Mensch‹ im 21. Jahrhundert« meines Studienkollegen Stefan Schütze.

Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771

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