Einführung in die Motette
"Jesu, meine Freude" BWV 227
Inhalt und Aufbau der
Motette
Die Motette „Jesu meine Freude“
von Johann Sebastian Bach ist ein bedeutendes Werk innerhalb seines
Kantatenzyklus, das in Leipzig, wo Bach als Thomaskantor tätig war, eine
spezifische liturgische Funktion im lutherischen Gottesdienst hatte.
In Leipzig wurden die
Kantaten von den Thomanern, dem Chor der Thomasschule unter der Leitung von
Bach selbst aufgeführt. In der Regel fanden die Gottesdienste in der
Thomaskirche oder Nikolaikirche, den beiden Hauptkirchen Leipzigs statt. Diese
Kantatenaufführungen waren also integraler Bestandteil des Gottesdienstes und
wurden in der Regel zwischen den Lesungen und der Predigt platziert.
Als Thomaskantor war Bach
verantwortlich für die gesamte Kirchenmusik in Leipzig. Dies umfasste die
Komposition, Aufführung und musikalische Ausbildung. Seine Kantaten, darunter
auch die Motette "Jesu, meine Freude", spiegelten seine theologische
Überzeugung und sein musikalisches Können wider und trugen maßgeblich zur
liturgischen Praxis und dem spirituellen Leben in Leipzig bei.
Die Motette "Jesu, meine
Freude" BWV 227 von Johann Sebastian Bach gehört zu den bedeutendsten
geistlichen Vokalwerken des Barock. Vermutlich um 1723 in Leipzig komponiert,
basiert das Werk auf dem gleichnamigen Choral von Johann Franck (1653), mit
einer Melodie von Johann Crüger. Die Motette besteht aus elf Sätzen, die
abwechselnd den Choraltext und Bibelverse aus dem achten Kapitel des
Römerbriefs
(Verse 1-2, 9-11) verwenden.
Diese Kombination von Chorälen und Bibeltexten ist für Bachs Motetten
charakteristisch und verleiht dem Werk eine tiefgründige theologische und
musikalische Struktur.
Satzfolge:
1.
Choral: "Jesu, meine Freude"
2.
Fuge: "Es ist nun nichts Verdammliches für die, die in
Christus Jesus sind“ (V.1) – Dies betont die Befreiung von Sünde und Verdammnis
durch Christus
3.
Choral: "Unter deinen Schirmen"
4.
Trio: "Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig
macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des
Todes“ (V.2) – Der Vers spricht über die Freiheit und das Leben, das durch den
Geist Christi bewirkt wird.
5.
Choral: "Trotz dem alten Drachen"
6.
Fuge: "Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern
geistlich, wenn Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat,
der ist nicht sein.“ (V.9) – Hier wird der Gegensatz zwischen dem Leben im
Fleisch und dem Leben im Geist thematisiert.
7.
Choral: "Weg mit allen Schätzen"
8.
Duett: "So aber Christus in euch ist, so ist der Leib
zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit
willen.“ (V.10) – Hier wird herausgestrichen, dass das Leben im Geist die Fülle
ist.
9.
Choral: "Gute Nacht, o Wesen"
10.
Trio: "So nun der Geist des, der Jesus von den Toten
auferweckt hat, in euch wohnt, so wird auch derselbige, der Christus von den
Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen
Geist, der in euch wohnt.“ (V.11) – Durch den Geist Gottes wird Auferstehung in
die Ewigkeit proklamiert.
11.
Choral: "Weicht, ihr Trauergeister"
Die Motette folgt einer
symmetrischen Anordnung um den zentralen fünften Choral ("Trotz dem alten
Drachen"), wobei die äußeren Sätze jeweils Choräle sind und die mittleren
Sätze abwechselnd Bibelverse und Choräle behandeln. Diese Struktur schafft eine
Balance zwischen der theologischen Reflexion und der musikalischen Darstellung
Theologische Bedeutung
Die theologische Tiefe der
Motette ergibt sich aus der geschickten Verwebung von Chorälen und biblischen
Texten. Der Choral "Jesu, meine Freude" ist ein persönliches
Glaubensbekenntnis und Ausdruck tiefer Frömmigkeit. Johann Francks Text
thematisiert die enge Beziehung des Gläubigen zu Jesus Christus und die Freude,
die aus dieser Verbindung erwächst, trotz aller irdischen Leiden und
Versuchungen.
Analyse des Choraltexts:
• "Jesu,
meine Freude": Der Anfangschoral drückt die zentrale Idee der Freude im
Glauben an Jesus aus.
• "Unter
deinen Schirmen": Der zweite Choral spricht von Schutz und Geborgenheit
unter Christus' Obhut.
• "Trotz
dem alten Drachen": Der fünfte Choral thematisiert den Widerstand gegen
das Böse und den Sieg durch Christus.
• "Weg
mit allen Schätzen": Der siebte Choral betont die Abkehr von weltlichen
Gütern zugunsten geistlicher Werte.
• "Gute
Nacht, o Wesen": Der neunte Choral verabschiedet sich von den weltlichen
Verlockungen und richtet den Blick auf das geistliche Leben.
• "Weicht,
ihr Trauergeister": Der abschließende Choral bekräftigt den Sieg über
Trauer und Tod durch den Glauben.
Die Bibelverse aus dem
Römerbrief ergänzen und vertiefen also diese Gedanken. Paulus' Worte sprechen
von der Befreiung durch den Geist Jesu Christi und dem neuen Leben, das den
Gläubigen erwartet. Besonders die Verse 1-2, die zu Beginn der Fuge "Es
ist nun nichts Verdammliches" verwendet werden, betonen die Freiheit von
der Sünde und Verdammnis durch Jesus Christus.
Diese Texte reflektieren die
lutherische Theologie von der Rechtfertigung durch den Glauben und die
Heiligung durch den Geist.
Die Motette vermittelt
zentrale Aspekte der protestantischen Glaubenslehre, indem sie die Freude an
der Erlösung und das Vertrauen auf Christus als Schutz und Zuflucht betont. Die
Kombination aus persönlicher Frömmigkeit und tiefgründiger theologischer Reflexion
macht das Werk zu einer spirituellen und intellektuellen Bereicherung
Musikalische Bedeutung
Musikalisch ist "Jesu,
meine Freude" ein Meisterwerk der Barockmusik und zeigt Bachs
außergewöhnliche Fähigkeiten im Kontrapunkt, der Harmonie und der
Formgestaltung. Jeder Satz ist sorgfältig gestaltet, um sowohl den textlichen
Inhalt als auch die emotionale Tiefe zu reflektieren.
Polyphonie und
Kontrapunkt:
Bach nutzt in den fugierten
Sätzen (z.B. "Es ist nun nichts Verdammliches" und "Ihr aber
seid nicht fleischlich") komplexe kontrapunktische Techniken. Diese Sätze
zeichnen sich durch dichte polyphone Strukturen aus, die die theologischen
Aussagen musikalisch unterstreichen. Die Kunst der Fuge, die Bach hier
demonstriert, spiegelt die Ordnung und Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung
wider.
Choralsätze:
Die Choralsätze sind
einfacher gestaltet, aber nicht weniger tiefgründig. Sie bieten eine
harmonische Klarheit und eine melodische Schlichtheit, die den persönlichen und
intimen Charakter des Glaubensbekenntnisses unterstreichen. Bach variiert die
Choralharmonisation in den verschiedenen Sätzen, um die verschiedenen
emotionalen und theologischen Aspekte des Textes zu betonen.
Expressivität und
Textausdeutung:
Bach ist bekannt für seine
Fähigkeit, den Text musikalisch auszudeuten. Dies zeigt sich in den
affektgeladenen Passagen der Motette, wie in "Trotz dem alten
Drachen", wo die Musik den kämpferischen Charakter des Textes reflektiert.
In "Gute Nacht, o Wesen" hingegen nutzt Bach eine ruhigere,
nachdenkliche musikalische Sprache, um die Abwendung von weltlichen Dingen und
die Hinwendung zum geistlichen Leben darzustellen.
Trio- und Duettsätze:
Die Trio- und Duettsätze
("Denn das Gesetz des Geistes", "So aber Christus in euch
ist", "So nun der Geist") bieten eine kontrastierende
musikalische Textur zu den Choralsätzen und Fugen. Diese Sätze haben eine
kammermusikalische Qualität und sind oft in einem dialogischen Stil gehalten,
was die individuelle Auseinandersetzung des Gläubigen mit dem Glauben
symbolisiert. Die durchsichtige Textur der Trio- und Duett-Passagen erlaubt es,
die theologischen Konzepte von Geist und Fleisch, Leben und Tod, intensiv und
persönlich zu erleben.
Zusammenfassung
"Jesu, meine
Freude" BWV 227 ist ein tief theologisches und musikalisch reiches Werk.
Es verbindet persönliche Frömmigkeit mit komplexer theologischer Reflexion und
musikalischer Meisterschaft. Durch die geschickte Verwebung von Choraltexten und
Bibelversen schafft Bach eine Motette, die sowohl den Glauben der Hörer stärkt
als auch ihre musikalische Sensibilität anspricht. Das Werk bleibt ein
zeitloses Beispiel für die Tiefe und Schönheit der lutherischen Kirchenmusik
und Bachs unvergleichliche Fähigkeit, den Glauben durch Musik auszudrücken.
Bachs "Jesu, meine Freude" ist nicht nur ein Beispiel für seine
technische Meisterschaft, sondern auch für seine Fähigkeit, musikalische und
theologische Ideen zu einer tief berührenden spirituellen Erfahrung zu
verschmelzen. Die Motette bleibt daher ein Höhepunkt des barocken
Motettenschaffens und ein unverzichtbares Werk für alle Liebhaber der
Kirchenmusik
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