Hier stehen Fragen der Ästhetik im Vordergrund,
die versuchen, den Bildbegriff wissenschaftlich zu erfassen. Es geht mir um den
Aufbau und die Beschreibung einer Bildwissenschaft bzw. Bildkritik, wobei unter
Kritik die Fokussierung auf die Bedingtheiten von Erkenntnissen zu verstehen
ist, nicht so sehr der Dissenz gegenüber allgemeinen Urteilen. Das Bild ist ein
Instrument zur Erkenntnisgewinnung. Ich frage danach, wie Bilder Sinn erzeugen
und gehe dabei von der Eigenmacht des Bildes aus, das etwas zeigt. Und zwar
nicht allein eine ikonische Erläuterung
begrifflicher Erkenntnis. Die Frage: "wie Bilder Sinn
erzeugen" erfordert ein neues Nachdenken über die Bedingungen, die Macht
und die Bedeutung von Bildern.
Wenn es so also um die Frage nach Erkenntnisgewinn durch die
Wahrnehmung eines Bildes geht, dann führt der Weg über das "ikonische
Denken". Dabei ist festzuhalten, dass Bilder anders als Sprache ihren Sinn
explizieren.
Deshalb ist zuerst auszugehen von einer genauen Bildanalyse in der
Kunstbetrachtung aber auch in allen anderen ikonischen Bereichen, die beim Bild
danach fragt:
1. Was ist dargestellt?
2. Wie ist es dargestellt?
3. Warum ist es so dargestellt?
Dabei wird die Hintergründigkeit des "Zeigens"
angesprochen. Jenseits der Sprache gibt es so etwas wie Sinn, der durch das
Bild sich zeigt und damit erkennbar wird. Dennoch kann sich eine solche
Sinnerkenntnis nicht auf einer strikten Trennung von Sagen und Zeigen berufen.
Eher geht es bei der Bildwahrnehmung um eine ernsthafte Abstandsmessung
zwischen Sagen und Zeigen. Bildkritik hat das wissenschaftlich zu erfassen.
Wenn die Überformung der Bilder durch sprachliche Muster, Ansprüche des
Begriffs oder externer Texte zurückgenommen wird, lässt sich das deiktische
Potenzial des Bildes freilegen. Das ist es, wenn von der Macht des Zeigens
gesprochen wird. Das Zeigen lässt sich nicht auf ein Sagen reduzieren, und
gerade deshalb lässt das Zeigen den eigentlichen sinnerzeugenden Überschuss in
Bildern entstehen. Das Zeigen des sinnerzeugenden Überschusses eines Bildes
macht aus dem materiellen Sachverhalt etwas Sinnhaftes, bringt den Dialog mit
dem Auge, dem Organ der Wahrnehmung in Gang, in dem das Bild zu seinen Möglichkeiten
kommt. Denn die "Helligkeit" der Vernunft reicht weiter als das Wort.
Hier folge ich den Ausführungen von G. Boehm in Wie Bilder Sinn
erzeugen, S. 15ff.
Er spricht von dem Modell der ikonischen Differenz. Diese
Unterscheidung dient dazu, die in Bildern wirksame Logik zu analysieren, ohne
damit ein theoretisches System aufzubauen. Denn ein Bild ist immer singulär,
sich in der Wahrnehmung auf diese Singularität einlassen und sie zugleich auf
diese innere Struktur zu befragen. Das ist ikonisches Denken, ein Vorgehen, das
ikonische Phänomene mit Argumenten versucht zu verknüpfen. Dabei erscheint der
epistemologische Bereich der Philosophie als Sinnerkenntnisraum.
Der Mensch ist ein Wesen, das sich ein Bild zu machen vermag. Die
Bildfähigkeit ist eine für den Menschen konstitutive Fähigkeit, in der sich die
Vernunft des Menschen in spezifischer Weise zeigt oder sich ermöglicht.
Nicht Sätze, sondern Bilder, nicht Begriffe, sondern Metaphern
dominieren den größten Teil der menschlichen Überzeugungen.
Denn die Welt wird nach ihren Ähnlichkeiten zu gespeicherten
Bildern erkannt. Die Bilder werden nicht mehr in ihrer Ähnlichkeit zur Welt
wahrgenommen. Die Welt als Ausgangspunkt der Erkenntnis geht verloren. Sprache
allein hat ihre epistemologische Bedeutung verloren, oder ist dabei, sie zu
verlieren, denn die sinnstiftende Realität ist das Bild in den schillernden
Bedeutungsformen, die im Zeigen sich auftun. Die Kraft der Bilder, die Macht
des Bildes, sie drückt sich schon in der Formulierung aus "Das Bild hat mich
in Besitz genommen!" Es scheint so zu sein, dass der Bildakt dem Sprechakt
voraufgeht. Das ist der tiefe Sinn, von einem iconic turn zu sprechen.
Vom linguistic turn zum iconic turn
Richard Rorty brachte die philosophischen Debatten in den 1960er
auf einen prägnanten Begriff, der verschiedene Strömungen bündelte und zugleich
eine programmatische theoretische Positionsbestimmung unternahm. Diese entwarf
sich in Absetzung von einem die philosophische Tradition dominierendem Modell,
das in der Erkenntnistheorie auf Visualität setzte und die philosophische
Reflexion nicht nur bestimmte, sondern diese auch gefangenhielt. Die
Konzentration auf die Sprache sollte die Philosophie aus der Gefangenschaft des
Bildes und der Visualität befreien.
Nicht Aussagen, sondern Metaphern dominieren den größten Teil
unserer philosophischen Überzeugungen.
Das Bild, das die traditionelle Philosophie gefangenhält, ist das
Bild vom Bewußtsein als einem großen Spiegel.
Und genau dieses gilt es zu hinterfragen, zu kritisieren, zu
dekonstruieren.Die Konzentration auf die Sprache sollte die Philosophie aus der
Gefangenschaft des Bildes und der Visualität befreien. "Die Welt als
Text" wurde zu einer neuen Metapher, die nicht weniger dominierend wurde
wie die kritisierte Spiegelmetapher der philosophischen Tradition.
Regelrechte Sprachfixierung des Denkens, die für die Philosophie
des 20. Jahrhunderts als charakteristisch zu bezeichnen ist und sich durch eine
konsequente Ausblendung von Visualität und Bildlichkeit auszeichnet: Ikonoklasmus
und Ikonophobie wurden zum philosophischen Programm und auch Derridas Kritik
des Logozentrismus eröffnete keinen Ausweg aus dem geschlossenen Sprachkreis.
In den 90er Jahren wurde der Dominanz des Sprachparadigmas
widersprochen, der epistemologische Focus wird verstärkt nicht mir auf
sprachliche Begrifflichkeit gelegt, sondern auf die Sichtbarkeit und damit auf
die Bilder gerichtet.
Das ist auch deshalb erforderlich, weil die gesellschaftliche
Bedeutung wie Omnipräsenz der Bilder längst unübersehbar geworden seien, die
Theorie aber keineswegs auf der Höhe des Geschehens sei. Von Bilderflut ist die
Rede, von der »immanenten Ordnung und Reflexivität der Bilder«, von der
eigentümlich paradoxen Situation, daß Bilder eine immense Macht gewonnen
hätten, aber zugleich auch eine regelrechte Angst provozierten, die
Wirklichkeit könne gänzlich von Bildern beherrscht werden. Und schließlich geht
diese neue theoretische Auseinandersetzung mit Bildern, Visualität und
Bildlichkeit auch von der ebenso nüchternen wie zutreffenden Beobachtung aus,
daß in zahlreichen Wissenschaftsbereichen Bilder bereits eine zentrale Rolle
spielen, aber erst allmählich in den Fokus der theoretischen Aufmerksamkeit
rücken.
1992 Mitchell: Pictorial Turn, er will einen Begriff für die neue
gesellschaftliche Bedeutung des Bildes finden.
1993 Boehm: Iconic Turn, konzentrierte sich auf eine
Eigensprachlichkeit wie Eigenlogik des Bildes, die explizit auf die Tradition
der Hermeneutik zurückgriff und Gadamers Diktum »Sein, das verstanden werden
kann, ist Sprache« auf Bilder übertrug. Sein, das verstanden wird, ist Bild!
Boehm versteht dabei den Iconic Turn als konsequente Fortsetzung des Linguistic
Turn, als Versuch, »das Bild als ›Logos‹, als sinnstiftenden Akt zu verstehen«.
Die Eigensprachlichkeit der Bilder soll begrifflich erfasst
werden.
Mitchell und Bohm unternehmen eine dezidierte Kritik des
Logozentrismus der philosophischen Theorie. Beide versuchen Bildlichkeit als
ein der Sprache inhärentes Prinzip herauszuarbeiten, unterscheiden sich hingegen
in der Frage, inwiefern der Iconic oder Pictorial Turn auch eine
gesellschaftliche Reflexion notwendig miteinschließen müsse. Beide haben jedoch
nachdrücklich wie überzeugend unterstrichen, daß das »Bild« ein neues Paradigma
darstelle, das es theoretisch in den Blick zu nehmen gelte.
Weitere theoretische Erörterungen des Bildbegriffs finden sich bei
Hans Belting: als anthropologische Grundfrage wird das Bild betrachtet und die
Grundlagen zu einer Bildanthropologie werden gelegt.
Horst Bredekamp versucht, Bild- und Kunstwissenschaft zu
verbinden, bildwissenschaftliche Fragestellungen und kunstwissenschaftliche
Begriffe und Methoden miteinander zu verzahnen, mithin Bildwissenschaft als
Bildforschung zu verstehen. Bredekamp geht es gewissermaßen um eine im
philosophischen Sinn pragmatisch gewendete Neuorientierung der Bildreflexion,
um eine Theorie des Bildakts, der auch für das Denken konstitutiv sei und somit
eine gesellschaftlich-politische Dimension einschließt: Bilder sind
geschichts-, handlungs- und theorieprägend. »Ein Bildakt schafft Fakten, indem
er Bilder in die Welt setzt«, heißt es programmatisch in seinem Aufsatz
»Bildakte als Zeugnis und Urteil«.
Klaus Sachs-Hombach gilt als der Protagonist der Bildwissenschaft.
Mit »Bildwissenschaft« ist auch der Name jener neuen Disziplin angeführt, die
all jene traditionellen Wissenschaftsdisziplinen miteinschließt, die, so Klaus
Sachs-Hombach, der als Herausgeber von mehreren Bänden der Bildwissenschaft ein
theoretisches Profil zu geben versucht, etwas »zum theoretischen Verständnis
der Bildthematik beitragen«. Das Spektrum reicht dabei von Natur- und
Sozialwissenschaften, über historisch und anwendungsorientierte Disziplinen bis
hin zu den Medienwissenschaften.
Hier gehört auch das Projekt Bildkritik Eikones hin.
Ikonische Differenz
Anschauungsnähe geht einher mit begrifflicher Anschlussfähigkeit, die sich aus dem Denken der Differenz ergibt. Sie miteinander zu verbinden, gegeneinander abzuwägen und in ihrer materiellen Beschaffenheit zu untersuchen, ist Aufgabe einer wissenschaftlichen Arbeit, deren angemessener Name Bildkritik lautet.
Die ikonische Differenz bezeichnet die Grundbedingungen, unter denen Bilder – also materialkodifizierte, visuell zugängliche Systeme Bedeutung generieren. So erzeugen Bilder Sinn. Denn Bilder sind Referenzsysteme. Sie generieren ihre Bedeutung dadurch, dass sie sich beziehen. Lingustisch gesprochen beziehen sie sich auf vorhandene Texte und schaffen so etwas wie eine Anschauung von ihnen. Somit liegt der Prätext außerhalb des Bildes, indem er aber den Sinn des Bildes begründet. Das Bild funktioniert als autopoietisches System auf Seiten der Materialität, der Wahrnehmung und auf Seiten des Kontextes, in den es gestellt wird.
Kann das Auge “denken”? Kann es Einsichten gewinnen?
Ja, durch Anschauungsnähe und damit verbundener Anschlussfähigkeit!
Das “Auge” gewinnt Anblicke. In diesem Wahrnehmungsprozess wird das Sichtbare so zurechtgerückt, dass es sich “zeigt”, dass es sich darbietet. Das Auge bringt den Blick so ins Spiel, dass sich eine Sache aufschließt, indem sie sich auf uns hinordnet. Das ist gemeint, wenn wir davon sprechen, “wir machen uns ein Bild”. Es bedeutet nichts anderes als ein visuelles Entsprechungsverhältnis herzustellen.
Mit dem Auge denken bedeutet, aufbder elementaren visuellen Ebene eine anschauliche Korrespondenz ausfindig machen.
Der Betrachter schafft sich Anblicke, der Anblick ist das blickende Tun. Damit wird das Auge selbst “bildend”! Es aktiviert ein Vermögen, das darin besteht, anschauliche Entsprechungen auszukundschaften. (vgl. I.Kant: Einbildungskraft)
Der “Blick” wird zu einem “Anblick”, er verschränkt sich mit der Sache, dem Objekt.
Denn Bilder besitzen eine eigene nur ihnen zugehörige Logik, wobei unter Logik verstanden wird eine konsistente Erzeugung von Sinn aus genuin bildnerischen Mitteln. Diese Logik ist erst einmal nicht-prädikativ, nicht nach dem Muster eines Satzes oder anderer Sprachformen gebildet. Eigentlich wird diese Logik nicht gesprochen, sondern wahrnehmend realisiert.
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