Donnerstag, 21. Dezember 2023

Gedanken zur Weihnacht 2023

Weihnachten 2023

Die Botschaft:
Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids…Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens! (Lukas 2, 10ff)
 
Liebe Freundinnen und Freunde,
mit dieser Botschaft grüße ich euch zur Weihnacht mitten in einer krisengeschüttelten Welt.
Die Weihnachtszeit ist überschattet. Vom Ukraine-Krieg, dem Krieg in Israel, von der drohenden Klimakatastrophe, der Energiekrise, den Krisen um unser demokratisches Gesellschaftssystem, den ganz persönlichen Krisen, die wir im letzten Jahr zu durchwandern hatten.
Auf diesem Hintergrund möchte ich einige Gedanken mit euch teilen.
Wäre die Welt ein Computerspiel, 2023 wäre der Augenblick gekommen, in dem man irgendwann die Reset-Taste gedrückt hätte, weil es so nicht weitergehen kann. Nicht weitergehen darf. Das Ganze noch einmal, bitte! Aber auf keinen Fall so wie bisher, sondern anders. Besser. Nicht deshalb, weil wir Krisen nicht gewohnt wären, sondern weil wir vor lauter Krisen nicht mehr daran zu glauben wagen, dass es wieder so etwas wie Normalität geben könnte.
 
Vielleicht gibt es sie tatsächlich nicht. Womöglich ist die Krise der gesellschaftliche Normalfall. Und ja, Krisen gab es immer, schon lange vor den Kriegen, dem Klimawandel und Corona. Manche haben wir beigelegt, andere haben sich von selbst gelöst. Mit einigen haben wir leben gelernt. Aber diesmal ist es anders. Wir schieben die Krisen vor uns her, kommen nicht vom Fleck. Es ist alles zu viel. Und zu viel auf einmal. Die Gesellschaft wirkt überfordert, scheint die Hoffnung verloren zu haben, für alles eine Lösung zu finden, was nach einer Lösung verlangt.
Wir spüren, dass wir etwas brauchten, was wir kaum auszusprechen wagen: Trost.
 
Fürchte dich nicht - Worte, die verklingen
 
Der Philosoph Hans Blumenberg hat den Menschen einmal als das trostbedürftige Wesen beschrieben und diese Bestimmung in zwei Richtungen ergänzt: Der Mensch braucht den Trost nicht nur, er lässt sich auch trösten, er ist ein trostfähiges Wesen. Aber er schämt sich dafür. Trost hat keinen guten Ruf in einer Welt, in der sich der Mensch als sein eigener und einziger Herr verstehen will. Wer Trost sucht – und mehr noch, wer sich trösten lässt –, muss sich vorhalten lassen, er verweigere sich der Realität. Trost packt das Übel nicht an der Wurzel, merzt das Leiden nicht aus, sondern lässt es weiter bestehen.
 
Wenn wir getröstet werden, ändern wir nicht das, was uns bedrückt, sondern unser Verhältnis dazu. Wir finden uns mit dem ab, was ist, und fliehen vor dem, was eigentlich zu tun wäre. Ein Surrogat also, bestenfalls. Eine Kapitulation vor dem Leben. Oder, vielleicht, eine heute fast lächerlich anmutende Art der Versöhnung mit einer Welt, von der wir spüren, dass wir nicht für sie geschaffen sind. Bei aller Trostfähigkeit sei der Mensch letztlich doch untröstlich, hat Hans Blumenberg vermutet.
 
 
 
Augustin, der Kirchenvater des 5. Jahrhunderts, war überzeugt, Gott habe die Sterne als Trost für die Menschen geschaffen. Damit die, die nachts arbeiten müssten, nicht ganz im Dunkeln seien. Für solche Gedankenspielereien haben viele heute bestenfalls ein Lächeln übrig, genauso wie für das immense Repertoire an Trosttechniken, die Philosophie und Lebenshilfe im Lauf der Zeit geschaffen haben. Zu Unrecht. Trost hat zu leicht den Beiklang von falschem Trost, von Worten, die verklingen, kaum dass sie ausgesprochen sind.
 
Tatsächlich, Trost kann in einer kleinen Geste stecken. Einer Umarmung, einem Blick, einem Wort. Aber manchmal kann ein Wort retten. Und jeder hat schon einmal erfahren, wie schmerzlich es ist, ein Wort nicht zu hören, auf das wir hoffen. Sogar wenn das, was gesagt wird, formell und ritualisiert ist. Beileidsbezeugungen berühren uns vor allem, weil sie zeigen, dass der Verstorbene auch bei anderen Menschen gegenwärtig war und ist. Dass jemand an ihn denkt.
 
«Fürchtet euch nicht!»
Das ist wenig. Und es ist unendlich viel. Der Mensch hat Trost nötig, auch wenn er sich das nicht gern eingesteht. Selbst dann, wenn er uns nur zeigt, dass wir mit dem, was auf uns einstürzt, nicht allein sind. Vielleicht helfen die Sterne am Himmel tatsächlich, die existenzielle Einsamkeit zu ertragen, auch wenn sie die Welt nur schwach erleuchten. «Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer für uns», hat Sigmund Freud einmal gesagt. Dagegen lässt sich nichts einwenden, auch wenn uns dieses Leben immer wieder von neuem bezaubert.
 
Im Grund erzählt Weihnachten genau davon. Unabhängig davon, ob man gläubig ist oder nicht, egal, ob man Christ oder Christin ist oder nicht: Die Erzählung der Geburt Jesu ist die Geschichte einer Zusage. Gott wendet sich an die Menschen, indem er selbst Mensch wird. Nicht als erhabener Herrscher, dessen Ankunft sich mit himmlischem Brausen ankündigt. Sondern in der Stille einer Winternacht, am Rand des Römischen Reichs und in der verletzlichsten aller menschlichen Gestalten: der eines kleinen Kindes.
 
Das ist ein unerhörtes Ereignis, fernab aller Krippenromantik und Weihnachtsmarktgemütlichkeit. «Fürchtet euch nicht!», hat der Engel den Hirten auf dem Feld bei Bethlehem zugerufen. Aber das bedeutet nicht: Macht euch keine Sorgen, es ist alles in bester Ordnung. Es heisst nicht mehr als: Ihr seid nicht allein. Aber auch nicht weniger. Wie gross die Not auch ist, die euch bedrängt, sagt der Engel, wie dünn der Boden auch sein mag, auf dem ihr euch bewegt: Es gibt etwas, was euch halten kann.
 
Die grosse Verheissung
Weihnachten erzählt von der Verheißung von Frieden, Liebe und Versöhnung zwischen Gott und den Menschen und den Menschen untereinander. Doch eine Verheißung ist kein Gutschein, den man eintauschen kann gegen das, was man sich wünscht. In der Verheißung steckt eine gewaltige Aufgabe: sich auf den radikalen Neuanfang einzulassen, von dem die Geburt Christi berichtet. Den Schritt wagen in ein neues Leben. In ein Dasein, das nicht von den Gewissheiten bestimmt ist, die der Mensch sich selbst zu verdanken glaubt.
 
Glauben ist ein Schritt ins Ungewisse, der keine Grundlage hat außer dem Glauben, dem er sich überlässt. Und dem Wissen darum, dass es nicht allein in unserer Macht steht, Frieden und Versöhnung zu schaffen, aber dass es Frieden und Versöhnung nur geben kann, wenn alle das in ihrer Macht Stehende tun, um sie zu schaffen. Der Friede Christi, heißt es beim Apostel Paulus, könne erst über die Welt kommen, wenn er in den Herzen der Menschen regiere.
 
Der Stern von Bethlehem, die Hirten auf dem Feld, das Kind in der Krippe zwischen Maria und Josef, die Weisen aus dem Morgenland: Mit dem, was in der Weihnachtsgeschichte erzählt wird, hat vor zweitausend Jahren etwas begonnen, was die Welt verändert hat. Und zugleich ist etwas in die Welt gekommen, was die Welt nur verändern kann, wenn es sich immer wieder ereignet. In jedem einzelnen Menschen. Zum Beispiel, wenn man an Weihnachten zusammensitzt, isst, trinkt und feiert. Wenn wir uns um andere Menschen kümmern oder jemandem helfen. Oder wenn wir versuchen, etwas zu verstehen, obwohl es uns nicht leichtfällt.
 
Das Wesen, das sich ändern kann
Die Weihnachtszeit ist überschattet. Kriege und Krisen lasten auf Europa und der Welt. Manche fragen sich, ob sie genug tun, um den Menschen im Kriegsgebiet zu helfen, und spüren, dass wir vielleicht gar nicht genug tun können, um ihnen die Hilfe zu bringen, die sie brauchen. Wir wissen, dass es mit der Hilfe an die Opfer nicht getan ist, solange die Täter nicht zur Vernunft kommen. Wir zweifeln, ob es gelingt, eine Klimakatastrophe zu vermeiden. Viele schämen sich für die Welt, die wir unseren Kindern überlassen. Und alle wünschen sich manchmal einfach nur Trost, ohne zu wissen, wo sie ihn finden können.
 
Aber womöglich liegt schon in der Suche nach Trost etwas Tröstliches. Wer sich trösten lässt, verweigert sich der Wirklichkeit. Ja, für ein paar Augenblicke. Aber man schaut die Dinge anders an, sobald einen die Wirklichkeit wieder eingeholt hat. Auch das ist eine Botschaft der Weihnachtsgeschichte: dass der Mensch das Wesen ist, das nie fertig ist. Das Wesen, das sich ändern, das jederzeit neu anfangen kann. Jeder und jede von uns kann das. Und in jedem Kind, das geboren wird, steckt eine neue Welt. Vielleicht ist das der größte Trost, den wir haben.
Was vor zweitausend Jahren in einem Stall bei Bethlehem begann, hat die Welt verändert. Und kann sie immer wieder verändern.
In diesem Sinne euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest
Euer
Heinz Hübner

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