Dienstag, 5. Juli 2016

wie kann ich "glaube" fassen?

Zu Paul Tillich "Glaube - formal und material"
nach P. Tillich, Systematische Theologie Bd. 3, S. 155ff

Tillich wendet sich gegen die Verwechslung des Glaubens mit dem Fürwahrhalten. Deshalb definiert er "Glauben" neu von der formalen und materialen Seite her.
Die formale Seite des Glaubens umfasst jede Art von Glauben in allen Religionen und Kulturen und ist zu beschreiben als "Zustand des Ergriffenseins durch das, worauf sich die Selbst-Transzendierung richtet: das Unbedingte in Sinn und Sein." Kürzer formuliert er: "Glaube ist das Ergriffensein durch das, was uns unbedingt angeht."
      Dabei differenziert er die Korrelation eines subjektiven und eines objektiven Elements, das
      Anliegen des Menschen und die Unbedingtheit des Anspruchs.
      Jeder Mensch hat Glauben, denn es gehört zum Wesen des menschlichen Geistes, auf etwas
      Unbedingtes bezogen zu sein. Damit konstatiert Tillich einen fundamentalen und universalen
      Glaubensbegriff. Einen geschichtlichen Kampfplatz zwischen Glaube und Unglaube kann es
      somit nicht geben, allein verschiedene Formen des Glaubens, die sich darin unterscheiden,
      ob sie sich inhaltlich (materialiter) auf etwas Endliches und Bedingtes oder etwas Unendliches
      und Unbedingtes beziehen. Tillich spricht zum ersten von einem unwürdigen, zum zweiten
      von einem würdigen Glauben.
B)  Die materiale Seite des Glaubens wird von Tillich beschrieben als Zustand, "in dem der
      Mensch vom göttlichen Geist und für die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens
      geöffnet ist." Oder genauer (resp. christliches Glaube): "Glaube ist der Zustand des 
      Ergriffenseins durch das neue Sein, wie es in Jesus als dem Christus erschienen ist."
      Damit wird materialiter die spezielle Definition des christlichen Glaubens zum Ziel,
      worauf alle Formen des Glaubens ausgerichtet sind, wobei der Anstoss stets der
      göttliche Geist ist, der den Zustand des Glaubens eröffnet.
Wenn Glaube - so Tillich - die Überwindung der Konflikte und Zweideutigkeiten im Leben des menschlichen Geistes durch den göttlichen Geist bezeichnet, kann es keine intellektuelle Zustimmung zu solcher Überwindung geben. Die Verifizierung des Glaubens bezieht sich nicht auf die Subjekt-Objekt-Struktur der menschlichen Wirklichkeit, sondern ergibt sich aus der Transzendierung dieser Struktur. Glaube stammt nicht vom Menschen, aber er lebt im Menschen. So ist sich der Mensch dessen bewusst, dass der göttliche Geist in ihm wirkt. Da Geist und Glaube im Menschen sind, weiß er um sie.
Dabei ist stets davon auszugehen, dass Glaube sich im Zustand des Ergriffenseins durch den göttlichen Geist ereignet. Er kann nicht mit menschlichen Geistfunktionen identifiziert oder aus ihnen abgeleitet werden. Damit stellt Tillich fest, dass Glaube weder durch Prozesse des Intellekts, noch durch Bemühung des Willens oder Bewegungen des Gefühls erzeugt werden kann.
Zusammenfassend spricht er inhaltlich von drei Elementen, in denen der Glaube unterschieden werden kann:
Das Geöffnetwerden durch den göttlichen Geist.
Das Aufnehmen des göttlichen Geistes trotz der unendlichen Kluft zwischen göttlichem und menschlichem Geist.
Die Erwartung der endgültigen Teilnahme an der transzendenten Einheit unzweideutigen Lebens.
Die drei Elemente sind korrelativ, folgen nicht linear aufeinander, sondern sind gegenwärtig, wo immer Glaube ist, der in allen Lebensprozessen sich als wirksam erweist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen